Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Betreffen eines unbekannten Täters auf frischer Tat
Rz. 15
Jemand muss bei einer Steuerstraftat auf frischer Tat betroffen sein. Der Täter ist unbekannt geblieben, weil er sich durch Flucht der Identifizierung entzogen hat.
Rz. 16
Das Erfordernis des Betreffens auf frischer Tat ist auch in § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO zu finden. Ob aber angesichts der endgültigen Rechtsfolgen des § 394 AO insofern ohne weiteres auf die dort entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann, ist umstritten (s. Rz. 19 m.w.N.).
Betroffen auf frischer Tat ist, wer bei der Erfüllung des Straftatbestands oder unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer Umgebung gestellt wird. Frisch ist die Tat während des Vorgangs der Tathandlung und kurz danach. Dies ist der Fall, wenn sich der Tatvorgang für einen dritten Beobachter als rechtswidrige Tat bzw. als dessen strafbarer Versuch darstellt. Damit ist ein unmittelbarer zeitlicher wie räumlicher Zusammenhang zwischen der Tatbegehung und deren Feststellung erforderlich. Fraglich ist in diesem Kontext, ob noch eine frische Tat vorliegt, wenn Tatvollendung bereits eingetreten ist, die Umstände, die auf die Tatbegehung schließen lassen, aber erst später, d.h. zum Zeitpunkt der Tatbeendigung bekannt werden.
Beispiel
A und B wollen Zigaretten in einem Lkw über die Grenze schmuggeln. An der deutsch-polnischen Grenze melden sie den Zollbeamten nur die mitgeführte Tarnware an, nicht die versteckten Zigaretten. Die Zollbeamten lassen sie passieren. A und B erreichen den Bestimmungsort der Ware erst Tage später. Beim Entladen des Lkw werden sie von der Zollfahndung ertappt und flüchten.
Vollendet ist der Schmuggel bereits mit Passieren der Zollstelle. Beendigung tritt jedoch erst mit dem endgültigen Zurruhekommen der Schmuggelware am Bestimmungsort ein (s. auch § 370 Rz. 1548; § 372 Rz. 72 ff.; § 373 Rz. 119; § 376 Rz. 66 ff., 103 ff.). Auch hier liegt aber noch ein unmittelbares Betreffen im Zusammenhang mit der Tatvollendung, dem Überschreiten der Zollgrenze, vor, da mit der Tatbeendigung unmittelbar an die Tatvollendung angeknüpft wird, mag der Zeitpunkt der Tatbeendigung auch wesentlich später erfolgen und es für die Zollbehörden eben aufgrund des Entkommens des Täters nicht feststellbar ist, ob eine vollendete Einfuhr oder ein Transitvergehen (z.B. wenn nur Umladen der Ware in ein Zwischenlager geplant war, s. § 370 Rz. 1539; § 372 Rz. 72) vorliegt.
Rz. 17
Unerheblich ist im Übrigen, wer den Täter auf frischer Tat betrifft. Dies kann auch eine Privatperson sein. Nicht zu fordern ist, dass ein für die Verfolgung von Steuerstraftaten zuständiger Beamter den Täter beobachtet. Denkbar und ausreichend ist, dass die Privatperson den Täter beobachtet und eine Amtsperson herbeiholt, die die vom Täter zurückgelassenen Sachen sicherstellt.
Rz. 18
Die Vorschrift kommt nach dem Wortlaut nur bei Steuerstraftaten in Betracht. Geeignete Taten sind vor allem der Schmuggel (§ 373 AO), die (schwere) Einfuhrabgaben- und Verbrauchsteuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5, Abs. 6 AO), der Bannbruch (§ 372 AO) und die Steuerhehlerei (§ 374 AO), daneben auch die Steuerzeichenfälschung (§ 148, § 150 Abs. 2 StGB), Marktordnungsverstöße (z.B. § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG) sowie die Begünstigung solcher Taten. Dabei wird es sich vornehmlich um Schmuggel über die grüne Grenze handeln. Aber auch im Inland ist die Anwendung des § 394 AO denkbar, wenn z.B. der Täter beim Weitertransport der Schmuggelware betroffen wird (s. Beispiel in Rz. 16 sowie § 373 Rz. 29, 129, 171; § 374 Rz. 132).
Rz. 18.1
Nicht erforderlich ist, dass die Steuerstraftat vollendet ist; es genügt ebenso, dass ein erkennbarer Versuch vorliegt, sofern dieser strafbar ist.
Rz. 19
Nach überwiegender Ansicht muss zudem hinsichtlich der frischen Tat ein entsprechender Tatverdacht bestehen, der dem des dringenden Tatverdachts entsprechen soll. Dabei ist aber zu bedenken, dass § 394 AO eine endgültige Rechtsfolge bewirkt. Daher wird zu Recht eine Überzeugungsbildung wie bei einer endgültigen Maßnahme verlangt.
Da sich § 394 AO an § 74 StGB anlehnt, ist zudem erforderlich, dass sich der Tatverdacht im Fall des § 74 Abs. 1 StGB auf die Begehung einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Tat und im Fall des § 74 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 StGB nur auf die Rechtswidrigkeit der begangenen Tat bezieht. Im Falle der strafähnlichen Dritteinziehung nach § 74a StGB (s. Rz. 27) muss sich der Verdacht auch auf das Quasi-Verschulden des Dritteigentümers beziehen. Ein Verzicht auf diese subjektiven Beschränkungen ist in § 394 AO nicht möglich, da anderenfalls der Eigentumsübergang auch in Fällen möglich wäre, in denen die Einziehung nach den allgemeinen Voraussetzungen nicht zulässig wäre.