Rz. 22
Die Aussetzung des Verfahrens nach § 396 AO setzt ein anhängiges Strafverfahren voraus. Sie kommt grds. in jedem Verfahrensstadium in Betracht und ist daher sowohl im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren als auch im gerichtlichen Zwischen- oder Hauptverfahren möglich. Voraussetzung ist insoweit lediglich, dass das Strafverfahren eingeleitet (§ 397 AO) und noch nicht eingestellt oder durch rechtskräftige Entscheidung (Urteil oder Strafbefehl) beendet ist. Dagegen besteht in einem abgetrennten Einziehungsverfahren (§§ 422, 423 StPO) nach rechtskräftiger Entscheidung in der Hauptsache für ein Aussetzungsverfahren nach § 396 AO kein Raum mehr. Infolge der Bindungswirkung nach § 423 Abs. 1 Satz 2 StPO ist die festgestellte Tat nicht mehr beweiserheblich, so dass das Strafverfahren nicht mehr von einer steuerlichen Beurteilung abhängt. Im Übrigen wäre dies auch schwerlich mit dem Beschleunigungsgedanken aus § 423 Abs. 2 StPO – dem zumindest ermessenleitende Bedeutung zukommt – zu vereinbaren.
Rz. 23
Nach dem Wortlaut der Norm findet § 396 AO Anwendung, wenn die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung infrage steht. § 396 AO erfasst daher alle Formen der Steuerhinterziehung nach § 370 AO einschließlich des besonders schweren Falls i.S.d. § 370 Abs. 3 AO sowie den Schmuggel gem. § 373 AO als selbständigen Qualifikationstatbestand der Steuerhinterziehung (s. § 373 Rz. 10). Die Anwendung des § 396 AO erstreckt sich zudem sowohl auf den Versuch der Steuerhinterziehung als auch auf Strafverfahren gegen Teilnehmer (§§ 26, 27 StGB), gleichgültig, ob diese im Besteuerungsverfahren selbst Steuerschuldner sind oder lediglich als Tatbeteiligte haften, da nach den Änderungen der Vorschrift, die zum Fortfall der Bindung des Strafgerichts an Entscheidungen der FG und FinB geführt haben (s. Rz. 6 ff.), die Aussetzung nicht mehr davon abhängig ist, dass sich Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren gegen dieselbe Person richten (s. Rz. 27 f.). Schließlich ist § 396 AO auch auf Steuerhinterziehungen anwendbar, die in Konkurrenz mit anderen Nichtsteuerdelikten begangen werden. So ist der Anwendungsbereich der Norm immer eröffnet, wenn die Tat – auch – unter dem Gesichtspunkt der Steuerhinterziehung zu beurteilen ist.
Rz. 24
Eine entsprechende Anwendung der Norm ist kraft der Verweisung in § 410 Abs. 1 Nr. 5 AO für das Bußgeldverfahren der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO) vorgesehen. Daneben nimmt das Gesetz in § 385 Abs. 2 AO, § 7 InvZulG 2005, § 14 InvZulG 2010, § 8 Abs. 2 WoPG, § 14 Abs. 3 des 5. VermBG weitere Verweisungen auf § 396 AO vor.
Rz. 25
Im Hinblick auf seinen insoweit eindeutigen Wortlaut ("Steuerhinterziehung") findet § 396 AO keine Anwendung auf Strafverfahren wegen Steuerhehlerei (§ 374 AO) und Begünstigung (§ 257 StGB, § 369 Nr. 4 AO), da es dann nicht auf die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung ankommt. Allerdings kommt in solchen Fällen eine Aussetzung des Strafverfahrens nach § 262 Abs. 2 und § 154d StPO in Betracht. Des Weiteren ist eine Aussetzung des Verfahrens bei einer Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG unzulässig.