Rz. 42

[Autor/Stand] Die strafrechtliche Beurteilung der Tat muss davon abhängen, ob ein Steueranspruch besteht, ob Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt sind (Aussetzungsgrund). Aus dem Grundgedanken der Vorschrift folgt, dass es sich hierbei um eine rein steuerrechtliche Vorfrage handeln muss[2]. Es ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 396 Abs. 1 AO, dass die zu klärende Vorfrage eine Steuerrechtsfrage sein muss[3]. Tatsächliche Zweifelsfragen (z.B. in Schätzungsfällen die Höhe der tatbestandlichen Steuerverkürzung) können hingegen keine Aussetzung nach § 396 AO rechtfertigen[4]. Die Aufklärung des Sachverhalts einschließlich der inneren Tatseite bleibt uneingeschränkt Aufgabe der Strafverfolgungsorgane und Strafgerichte.

Die Entscheidung des Strafrichters über das Vorliegen einer Steuerhinterziehung hängt von den in § 396 Abs. 1 AO genannten Vorfragen ab, "wenn der Strafrichter das Ergebnis der Prüfung der Vorfragen als Entscheidungsgrund für die von ihm zu fällende Hauptentscheidung verwenden muss oder will"[5]. Da § 370 AO ein Blankettgesetz ist und sich die Beurteilung der in § 396 AO genannten Fragen (Bestehen des Steueranspruchs; Steuerverkürzung; Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile) nach den das Blankett ausfüllenden Vorschriften des materiellen Steuerrechts richtet, ist eine besondere Abhängigkeit der strafrechtlichen Beurteilung von der rein steuerrechtlichen Rechtslage gegeben[6]. Es liegt auf der Hand, dass das Merkmal der Abhängigkeit in § 396 AO im engeren Sinn zu verstehen ist. Die notwendige Eingrenzung ist in der Weise vorzunehmen, dass darauf abgestellt wird, ob die Entscheidung des Strafgerichts bzw. der Strafverfolgungsorgane noch allein von der Beurteilung einer der oben genannten Fragen abhängt, im Übrigen jedoch alle Voraussetzungen der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung nach deren Überzeugung feststehen. Bei einem insoweit unvollständigen Ermittlungsstand ist andernfalls die Möglichkeit gegeben, dass bei Weiterführung der Ermittlungen Umstände zu Tage treten, welche die steuerliche Vorfrage als unerheblich erscheinen lassen.

 

Rz. 43

[Autor/Stand] Bestehen demnach Zweifel über das Bestehen eines Steueranspruchs, den Eintritt eines Verkürzungserfolgs oder die Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile, ist eine Aussetzung des Steuerstrafverfahrens gerechtfertigt. Solche Zweifel sind i.d.R. anzunehmen, wenn:

  • mehrere FinB in der Auslegung einer steuerrechtlichen Vorschrift unterschiedliche Auffassungen vertreten;
  • die Verwaltung ihre Rechtsauffassung geändert hat;
  • mehrere FG dieselbe steuerrechtliche Frage unterschiedlich beurteilt haben;
  • der BFH in einer bereits ergangenen Entscheidung zu derselben Rechtsfrage das Bestehen eines Steueranspruchs verneint hat, die Strafverfolgungsorgane und (oder) die FinB (sog. Nichtanwendungserlasse) aber zu einer gegenteiligen Auffassung gelangt sind[8].

Das Strafverfahren sollte hingegen nicht – gewissermaßen automatisch[9] – allein im Hinblick darauf ausgesetzt werden, dass

  • der Beschuldigte gegen den Steuerbescheid Einspruch eingelegt hat;
  • der Beschuldigte Klage beim FG erhoben hat;
  • das Verfahren beim BFH schwebt.
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.03.2024
[2] Vgl. Hadamitzky/Senge in Erbs/Kohlhaas, § 396 AO Rz. 3; Nikolaus in Schwarz/Pahlke/Keß, § 396 AO Rz. 11.
[3] LG Halle (Saale) v. 7.5.2014 – 2 Qs 3/14, NZWiSt 2014, 385.
[4] Rolletschke, NZWiSt 2014, 385.
[5] RG, RGSt 68, 45 (52).
[6] Vgl. Isensee, NJW 1985, 1007 (1008).
[Autor/Stand] Autor: Schauf, Stand: 01.03.2024
[8] Vgl. Jäger in JJR9, § 396 AO Rz. 26; Tormöhlen in HHSp., § 396 AO Rz. 61.
[9] Brenner, BB 1980, 1322; Tormöhlen in HHSp., § 396 AO Rz. 62.

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