I. Allgemeines
Rz. 4
Die FinB ist nach dem sog. Legalitätsprinzip (s. dazu § 385 Rz. 62, 123 ff.) zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens verpflichtet, sobald sie Kenntnis vom Verdacht einer Steuerstraftat erhält (§ 386 Abs. 1, § 399 Abs. 1, § 385 Abs. 1 AO i.V.m. § 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO). Dies kann etwa durch Anzeigen (vgl. § 158 Abs. 1, § 160 Abs. 1 StPO) oder vor allem durch amtliche Wahrnehmung anlässlich einer Betriebsprüfung geschehen. Bei Verletzung dieser Pflicht machen sich die Beamten u.U. wegen Strafvereitelung im Amt (§§ 258, 258a StGB) strafbar.
II. Verdacht einer Steuerstraftat
Schrifttum:
Ebert, Der Tatverdacht im Strafverfahren, 2000; Kammann, Der Anfangsverdacht, 2003; Schulz, Normiertes Misstrauen, 2001; Haas, Vorermittlungen und Anfangsverdacht, 2003.
Ergänzender Hinweis: Nr. 14, 26 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 14, 26)
Rz. 5
Voraussetzung ist das Vorliegen eines sog. Anfangsverdachts. Es genügt ein "einfacher" Verdacht, der von dem von der Intensität her stärkeren "dringenden" (bei Untersuchungshaft gem. § 112 StPO) oder "hinreichenden" Tatverdacht (bei Anklageerhebung oder Eröffnung des Hauptverfahrens, § 170 Abs. 1, § 203 StPO) zu unterscheiden ist (s. dazu auch § 385 Rz. 124). Zum Begriff der Steuerstraftat s. § 369 Rz. 15 ff. und § 386 Rz. 53 ff.
An die Darlegung des Verdachts einer Steuerstraftat und damit die Aufnahme strafprozessualer Ermittlungen werden in der Praxis zumeist keine hohen Anforderungen gestellt. Bereits im Gesetz ist die Eingriffsschwelle eher vage beschrieben, wenn "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" (§ 152 Abs. 2 StPO, ebenso Nr. 14 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 14) für eine Straftat vorliegen müssen, ohne dass dafür eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Das ist nach anerkannter Definition der Fall, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit soll genügen. Nach der Rspr. haben die Ermittlungsorgane bei diesem unbestimmten Rechtsbegriff zwar keinen Ermessens-, wohl aber einen gewissen Beurteilungsspielraum.
Ausreichen sollen schon entfernte Indizien für eine Straftat, z.B. eine Kapitalanlage in Luxemburg. Aber auch die bloße Verwendung von Offshore-Gesellschaften reicht in der Praxis aus.
Eine allgemeine Definition des Anfangsverdachts und die abstrakte Abgrenzung zur unzureichenden Verdachtsbegründung lässt sich kaum im Wege einer "Punktlandung" beschreiben. Hilfreich und für eine präzisere Umschreibung förderlich erscheinen konkrete Beispielsfälle aus der Praxis (s. dazu Rz. 25 ff.).
Eine für Steuerstrafverfahren bedeutsame und für die Strafprozessordnung aufschlussreiche, freilich nicht bindende inhaltliche Ausgestaltung des Legalitätsprinzips findet sich in § 10 Abs. 1 Satz 1 BpO, wonach der die Ermittlungspflicht der Strafverfolgungsbehörde begründende Verdacht grds. nur dann angenommen werden kann, wenn sich dieser auf zureichende tatsächliche Anhaltspunkte stützen lässt. Hierzu existieren gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder.
Einigkeit besteht darin, dass bloße Vermutungen, Hypothesen oder vage Hinweise, die sich nicht auf konkrete Anhaltspunkte stützen lassen, allein keinen Anfangsverdacht begründen können; auf dieser Ebene sind allenfalls Vor(feld)ermittlungen möglich (s. Rz. 6 f.). Ansonsten würde eine unzulässige Suche nach strafbaren Handlungen stattfinden. Daher können allgemeine Erfahrungssätze ohne konkrete Erkenntnisse und die bloße Möglichkeit, ein gesetzlich zulässiger Betrieb könnte von Straftätern genutzt werden, einen hinreichenden Ermittlungsanlass erst bieten, wenn "Verdachtsmomente für den konkreten Missbrauch vorliegen". Auch bloße formelle Fehler oder ein steuerliches Mehrergebnis bei einer Betriebsprüfung deuten noch nicht auf eine Steuerhinterziehung hin, hinzukommen müssen insoweit auch subjektive Tatumstände.
Zur Verdachtsbegründung erforderlich sind somit konkrete Tatsachen, d.h. konkrete Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart, die sinnlich wahrnehmbar und dem Beweis zugänglich sind. Doch auch dann verbleibt die entscheidende Frage, ob darauf gestützt die Lebenserfahrung oder kriminalistische Erfahrungssätze für die "Möglichkeit" oder "gewisse Wahrscheinlichkeit" einer Täter- oder Teilnehmerschaft des Verdächtigen sprechen.
Das Vorliegen tatsächlicher zureichender Anhaltspunkte kann sich im Rahmen von Betriebsprüfungen auch aus den schriftlichen Prüferanfragen ergeben, wenn diese in einer Gesamtschau erkennen lassen, da...