I. Allgemeines
Rz. 49
Die verschiedenen Auswirkungen der Einleitung des Strafverfahrens wurden bereits in Rz. 2 im Überblick dargestellt. Hierbei ist vor allem folgende Differenzierung beachtlich:
- Rechtsfolgen der Einleitung i.S.d. § 397 Abs. 1 AO (örtliche Zuständigkeit, Rollenwechsel für Behörde und Stpfl., Verwertungsverbote gem. §§ 136, 136a, 163a StPO, § 393 Abs. 1, Abs. 2 AO, Beginn der Festsetzungsfrist für Hinterziehungszinsen) bzw. der Aufnahme von Ermittlungen (Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO und
- Rechtsfolgen der Bekanntgabe der Einleitung i.S.d. § 397 Abs. 3 AO bzw. deren Anordnung im Hinblick auf Verjährung, Selbstanzeige, Offenbarungsbefugnis (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a AO, § 393 Abs. 2 AO), Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist (§ 171 Abs. 5 Satz 2 AO).
II. Veränderte Rechtsstellung des Steuerpflichtigen
Rz. 50
Der Stpfl. hat im eingeleiteten Strafverfahren die Stellung eines Beschuldigten und erhält alle ihm nach der StPO zustehenden Rechte (s. § 385 Rz. 143 ff.).
Zwar bleiben seine steuerlichen Erklärungspflichten (vgl. §§ 149 ff. AO) und Mitwirkungspflichten (§§ 90 ff., § 200 AO) bestehen (§ 393 Abs. 1 Satz 1 AO). Ab der Einleitung des Strafverfahrens dürfen die der FinB im Besteuerungsverfahren eingeräumten Zwangsmittel (§§ 328 ff. AO) jedoch generell nicht mehr angewendet werden (§ 393 Abs. 1 Satz 3 AO). Aufgrund des ihm zustehenden Schweigerechts darf der Beschuldigte nicht mehr gezwungen werden, eine Aussage zu machen oder Beweismittel vorzulegen, wenn er sich dadurch selbst einer Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit bezichtigen müsste (sog. Nemo-tenetur-Grundsatz). In Anbetracht dessen steht dem Stpfl. ein "faktisches Aussage- und Mitwirkungsverweigerungsrecht" zu (s. § 393 Rz. 46), denn eine Pflicht, die von Behörden nicht mehr durchgesetzt werden kann, verliert ihren Charakter als solche.
Rz. 50.1
Bei drohender Selbstbelastungsgefahr kann unter Umständen auch die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen suspendiert sein (s. dazu Rz. 54.1 sowie näher § 393 Rz. 55 zur neuen BGH-Rspr.). Da dies nur für strafbefangene Veranlagungszeiträume gilt, verbleibt bei einem steuerrechtlich relevanten Sachverhalt, der sich über mehrere Veranlagungszeiträume erstreckt, aufgrund der Abschnittsbesteuerung im Einkommensteuerrecht erhebliches Konfliktpotential.
Rz. 50.2
Der rechtswidrigen Ausdehnung des Prüfungsverfahrens ist durch die Umdeutung "Einleitung des Strafverfahrens" in § 397 Abs. 1 AO und – ergänzend – durch die Belehrungspflichten gem. § 136 Abs. 1 Satz 2 und 3, § 163a Abs. 4 StPO über das Schweigerecht und über das Zwangsmittelverbot (§ 393 Abs. 1 Satz 4 AO) sowie durch die in § 10 BpO 2000 festgelegte Hinweispflicht der Betriebsprüfer weitgehend ein Riegel vorgeschoben worden (vgl. auch Nr. 29, 46 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 29, 46). Verstöße hiergegen werden durch Beweisverwertungsverbote sanktioniert (s. Rz. 41 ff.).
III. Ausschluss der Straffreiheit bei der Selbstanzeige
Rz. 51
Die strafbefreiende Selbstanzeige ist nach Bekanntgabe der Einleitung des Strafverfahrens ausgeschlossen (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO). Die interne Einleitung löst damit noch keine Sperrwirkung aus (zum Motiv der Ermittlungspersonen, nach einer Selbstanzeige durch eine Verfahrenseinleitung einen Sperrgrund herbeizuführen, s. Rz. 31).
IV. Unterbrechung der Verjährung
Rz. 52
Die Verfolgungsverjährung von Steuervergehen wird nicht bereits durch die bloße Verfahrenseinleitung selbst, sondern erst durch die formlose Bekanntgabe der Einleitung des Strafverfahrens (zumeist der Einleitungsverfügung) unterbrochen (§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB). Zwar wird praktisch mit der Einleitung eines Strafverfahrens regelmäßig auch die Verjährung unterbrochen. Dies liegt allerdings daran, dass gleichzeitig Ermittlungsmaßnahmen ergriffen bzw. angeordnet werden, welche in irgendeiner Weise nach außen wirken und ihrerseits Unterbrechungstatbestände darstellen. Vorher kann aber bereits wegen Anordnung der Bekanntgabe die Verjährung unterbrochen sein (§ 78c Abs. 1 Nr. 1 StGB), wobei grds. die Unterzeichnung der schriftlichen Anordnung maßgeblich ist, wenn diese alsbald danach in den Geschäftsgang gelangt. Als wesentliche Ermittlungsmaßnahme ist dies gem. § 168b StPO in den Ermittlungsakten zu vermerken. Hierunter fallen auch Rechtshilfeersuchen oder innerstaatliche Rechtshilfe durch konsularische Vertretung der Bundesrepublik im Ausland. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass ausländische Strafverfolgungsübernahmeersuchen nicht auf die Unterbrechung der Verjährung gerichtet sind.
Die Erteilung eines allgemeinen Ermittlungsauftrags reicht nicht aus, selbst wenn dies die Vernehmung des Beschuldigten oder die Bekanntgabe der Verfahre...