Rz. 8
Nicht jede Person, die in einem frühen Stadium der Ermittlungen tatverdächtig erscheint, ist sogleich auch Beschuldigter. Neben dem Tatverdacht müssen Tatsachen auf die naheliegende Möglichkeit schließen lassen, dass der Betroffene als Täter oder Teilnehmer gehandelt hat.
Grundsätzlich gilt als Beschuldigter derjenige Tatverdächtige, gegen den die Strafverfolgungsbehörden förmlich das Verfahren als den für eine Straftat Verantwortlichen betreiben. Nach der früheren Rspr. wurde die Beschuldigteneigenschaft) primär durch einen Willensakt der Strafverfolgungsbehörden begründet (sog. subjektive Beschuldigtentheorie), die sich regelmäßig in der förmlichen Verfahrenseinleitung dokumentiert. Um die Rechtsstellung des Beschuldigten zu stärken (s. bereits Rz. 1), wird daneben aber zunehmend auf objektive Umstände abgestellt. Die Beschuldigteneigenschaft ist danach gegeben, sobald die Strafverfolgungsbehörden erkennbar Maßnahmen ergreifen, um gegen eine Person wegen einer Straftat strafrechtlich zu ermitteln. Dies ist bei strafprozessualen Maßnahmen, die einen Tatverdacht voraussetzen, der Fall.
Dieser Ansatz unter Einschluss objektiver und subjektiver Elemente liegt auch § 397 Abs. 1 AO zugrunde, weshalb die Vorschrift zunehmend auch im allgemeinen Strafverfahrensrecht eine analoge Anwendung erfährt und zur Erläuterung der Beschuldigteneigenschaft herangezogen wird. Die Regelung impliziert bereits durch die Wendung "strafrechtlich vorzugehen" ein gegen eine Person als potentiellen Verdächtigen gerichtetes Ermittlungsverfahren, mit dem Begriff "gegen jemanden" wird dies im Gesetz noch einmal klargestellt.
Rz. 8.1
Die genaue Bestimmung des Zeitpunkts, in dem ein Tatverdächtiger zum Beschuldigten wird und sich in der Folge die Rechtsstellung des Betroffenen entscheidend ändert (s. Rz. 50), bleibt dennoch schwierig. Praktisch erforderlich und im allgemeinen Strafprozessrecht weitgehend anerkannt sind sog. informatorische Befragungen der Tatverdächtigen oder sonstiger Personen mit dem Ziel, zu klären, ob jemand Beschuldigter ist oder nicht. Die Person ist nicht nach § 163a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2, 3 StPO zu belehren. Den Befragten stehen (lediglich) die Zeugnisverweigerungsrechte (§§ 52 ff. StPO) zu, doch fehlt praktisch eine förmliche Zeugenvernehmung. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass im frühen Stadium der Ermittlungen die Unterscheidung zwischen dem tatverdächtigen Zeugen und dem Beschuldigten mitunter schwer zu treffen ist. Für den Fall, dass der Tatverdacht aber so stark ist, dass die Verfolgungsbehörde anderenfalls (objektiv) willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn der Betreffende ohne Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht vernommen wird. Dies führt zu einem Verwertungsverbot.
Insbesondere bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen gegen Angehörige der steuerberatenden Berufe, etwa bei Durchsuchungen nach § 103 StPO, und späterer Einleitung des Ermittlungsverfahrens wegen Beihilfe zur Haupttat, geben Fälle aus der Praxis Anlass, den Zeitpunkt der Einleitung genau zu überprüfen. Wirkt der Steuerberater bspw. im Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten an der Erstellung von Steuererklärungen mit und wird später gegen ihn ein Strafverfahren wegen Beihilfe eröffnet, obgleich bereits vor der Durchsuchung entsprechende Anhaltspunkte (aktenkundig) bestanden, führt dies zu einem Verwertungsverbot der durch ihn gemachten Angaben gem. §§ 136, 136a Abs. 3 Satz 2 StPO.
Eine Vernehmung als Beschuldigter hat dann zu erfolgen, wenn sich anhand konkreter Umstände der bestehende Verdacht so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter in Betracht kommt. Demnach entscheidet nicht allein das Vorliegen eines Verdachts, sondern die objektive Stärke des Tatverdachts über die Beschuldigteneigenschaft und die Verfahrenseinleitung. Der Betroffene darf dann nach entsprechender Belehrung (§ 136 StPO) nicht mehr als Zeuge, sondern nur noch als Beschuldigter vernommen werden.
Rz. 8.2
Dieses für das allgemeine Strafverfahren bestehende Problem stellt sich im Falle einer Verdachtserlangung in Steuerstrafsachen einerseits weniger markant, andererseits aber auch besonders deutlich. Grundsätzlich steht im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung oder bei allgemeinen steuerlichen Ermittlungen die potentielle Beschuldigteneigenschaft des Stpfl. von vornherein fest. Bei einer solchen abstrakten Betrachtung liegt die Annahme strafrechtlicher Verdachtsgründe (s. Rz. 5 ff.) aber noch fern. Auf der anderen Seite tritt die Finanzverwaltung typischerweise in Person des Betriebsprüfers dem Stpfl. nicht als Strafverfolgungsbehörde gegenüber. Im Gegensatz zu Befragungen durch Polizei oder StA wird mit einer Außenprüfung (noch) keine strafrechtliche Zielrichtung verfolgt.
Eine besondere Bedeutung kommt der Pflicht zu, den Beschuldigten zu belehren, dass g...