I. Ausnahmecharakter der Vorschrift
Rz. 19
Um sicherzustellen, dass der Ausnahmecharakter des § 398 AO bzw. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO gewahrt bleibt und von der Einstellungsmöglichkeit kein allzu exzessiver Gebrauch gemacht wird, hat der Gesetzgeber die Anwendbarkeit dieser Vorschriften an das Vorhandensein von drei Voraussetzungen geknüpft:
- die eingetretene Steuerverkürzung oder der erlangte Steuervorteil darf nur geringwertig sein (§ 398 AO), bzw. die durch die Tat verursachten Folgen dürfen nur gering sein (§ 153 Abs. 1 Satz 2 StPO; s. hierzu Rz. 26 ff.);
- die Schuld des Täters wäre – ihre Feststellung unterstellt – als geringfügig anzusehen (s. hierzu Rz. 38 ff.) und
- es darf kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestehen (s. hierzu Rz. 43 ff.).
II. Einstellungsbefugte Stellen
Rz. 20
Der Wortlaut des § 398 AO bzw. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO kann zu Missverständnissen führen. Fest steht danach zunächst nur, dass die StA zu entscheiden hat, ob das Verfahren fortzuführen oder einzustellen ist, da sie als "Herrin des Ermittlungsverfahrens" auch dessen Ablauf bestimmt. Es ist nur konsequent und sachgerecht, dass sie dann auch über die Einstellung zu befinden hat.
Rz. 21
Neben der im Gesetz ausdrücklich erwähnten StA steht die Einstellungsbefugnis nach § 398 AO auch den Finanzbehörden zu. Gemäß § 386 Abs. 2 AO ist diesen das Recht eingeräumt, das Ermittlungsverfahren selbständig durchzuführen. In diesem Fall nehmen "sie die Rechte und Pflichten wahr, die der StA im Ermittlungsverfahren zustehen" (§ 399 Abs. 1 AO). Infolgedessen können die Finanzbehörden nicht nur Verfahren wegen absoluter Geringfügigkeit gem. § 398 AO bzw. § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO, sondern auch nach § 153a StPO gegen Auflagenerteilung, bei unzureichenden Verdachtsgründen selbstverständlich auch nach § 170 Abs. 2 StPO einstellen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Ermittlungen von der StA geführt werden und die Finanzbehörde im Rahmen dieser Ermittlungen lediglich als "Hilfsbehörde" i.S.d. § 402 Abs. 1 AO tätig wird. Der überwiegende Teil der Einstellungen in der Praxis wird durch die Finanzbehörden selbst, ohne Beteiligung und Kenntnis der StA vorgenommen.
Rz. 22
Die finanzbehördliche Einstellungsbefugnis steht im Übrigen nur der Finanzbehörde i.S.d. § 386 Abs. 1 Satz 2 AO (s. § 386 Rz. 31 ff.) zu. Behördenintern wird diese Befugnis durch die Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) des jeweils zuständigen Finanzamts wahrgenommen (Nr. 82 Abs. 1 AStBV (St) 2023/2024, s. AStBV Rz. 82). Die Steuer- und Zollfahndung ist dagegen nicht ermächtigt, gem. § 398 AO eigenverantwortlich von der Strafverfolgung abzusehen, entsprechende Vorschläge verbunden mit der Anregung, das Verfahren zur Verfolgung einer mitverwirklichten Ordnungswidrigkeit zurückzusenden, sind indes unschädlich. Gleiches gilt für das Strafgericht, doch kann sich dieses unter Einholung der Zustimmung von StA und Betroffenem auf die Vorschriften der §§ 153 ff. StPO stützen.
III. Einstellungsfähige Straftaten
Rz. 23
§ 398 AO sieht eine Einstellung des Verfahrens ohne Zustimmung des Gerichts durch die StA oder die Finanzbehörde vor, wenn wegen des Verdachts der Begehung einer der nachfolgend genannten Steuerstraftaten ein Ermittlungsverfahren durchgeführt wird:
- Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO), wobei besonders schwere Fälle (§ 370 Abs. 3 AO) regelmäßig bereits aufgrund der widersprechenden inhaltlichen Voraussetzungen ausscheiden, sei es im Hinblick auf den Umfang der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO), sei es im Hinblick auf die nicht mehr als gering zu beurteilende Schuld (§ 370 Abs. 3 Nr. 2–4 AO). Die Indizwirkung des Regelbeispiels kann jedoch durch andere strafmildernde Umstände ausgeglichen oder entkräftet werden, wobei dann aber die Einstellung gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO mit Zustimmung des Gerichts näherliegt;
- versuchte Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 2 AO);
- Steuerhehlerei (§ 374 AO);
- (sachliche) Begünstigung einer Person, die eine versuchte oder vollendete Steuerhinterziehung, Bannbruch nach § 372 Abs. 2, § 373 AO oder Steuerhehlerei begangen hat ("... eine der in § 375 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Taten begangen hat ..."). Entgegen dem Wortlaut des § 398 AO, der ausdrücklich auch auf die Begünstigung zu einem Bannbruch verweist, der selbst nicht nach § 398 AO einstellungsfähig ist, erweist sich diese Regelung insoweit als inkonsequent, da durch die Erstreckung des § 398 AO auf die Begünstigung offensichtlich nur die Folgedelikte zu den einstellungsfähigen "Haupttaten" erfasst werden sollten;
- Des Weiteren ordnet die Rspr. über den Gesetzeswortlaut hinaus auch den ge...