a) Einführung
Rz. 663
Die Steuerhinterziehung ist in gesetzlich bestimmten Konstellationen sog. Anlasstat für Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a StPO. Der Gesetzgeber beschränkt die Möglichkeit der TKÜ de lege lata auf die Regelbeispiele der Steuerhinterziehung in großem Ausmaß unter zusätzlicher Voraussetzung bandenmäßiger Begehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO) sowie die auf Umsatz- und Verbrauchssteuer gerichtete bandenmäßige Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 AO). Einschlägige Steuerdelikte sind überdies der gewerbsmäßige, gewaltsame und bandenmäßige Schmuggel nach § 373 AO sowie die Steuerhehlerei im Falle des § 374 Abs. 2 AO.
b) Verdachtsstufe
Rz. 664
Der die genannten Taten begründende Verdacht muss weder hinreichend (§ 203 StPO) noch dringend (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) sein. Die Anforderungen sind gleichwohl in dem Sinne erhöht, als dass der einfache Tatverdacht auf bestimmten Umständen beruhen muss, die nach Lebenserfahrung sowie kriminalistischer Erfahrung in erheblichem Maße auf eine Täterschaft oder Teilnahme hindeuten. Reicht für eine Durchsuchung (§ 102 StPO) bereits einfacher Tatverdacht, bedarf es für die TKÜ eine insofern erweiterte, strengere Verdachtsbegründung. Der Verdacht muss sich in gewissem Maße konkretisiert und verdichtet haben.
c) Schwere im Einzelfall
Rz. 665
Über den konkreten Verdacht hinaus, stellt der Gesetzgeber in § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO klar, dass die Tat auch im Einzelfall schwer wiegen muss. Derart grundrechtsrelevante Zwangsmaßnahmen können nicht allein mit der Abstraktheit des einschlägigen Normtatbestandes begründet werden, vielmehr muss ihnen besondere Bedeutung im Einzelfall zukommen. Die Bestimmung solcher Schwere des Einzelfalls entzieht sich evident allgemeingültiger Vorgaben, soll aber gleichwohl indiziell bestimmbar sein. Vom BVerfG mehrfach genannt sind hier die Schutzwürdigkeit der verletzten Rechtsgüter, der Grad der Bedrohung der Allgemeinheit, die Anzahl der Geschädigten, die Art der Begehung der Straftat und/oder das Ausmaß des Schadens.
Rz. 666
Für die Tatbestände der Steuerhinterziehung werden regelmäßig die zwei letztgenannten Indizien bedeutsam sein. Die Art der Begehung fällt bei der Steuerhinterziehung vor allem ins Gewicht, wird diese serienmäßig begangen. Die serielle Begehung einer Steuerhinterziehung erscheint vor dem Hintergrund wiederkehrender steuerlicher Erklärungspflichten nicht ungewöhnlich. Auch im unternehmerischen Bereich kann die Gefahr einer TKÜ bestehen, werden über einen längeren Zeitraum von mehr als zwei Personen unvollständige Steuererklärungen abgegeben oder unterlassen solche abzugeben. Gleichwohl darf die Schwere im Einzelfall bei (beabsichtigter) wiederholter Begehung nicht schon immer dann angenommen werden, wenn bandenmäßiges Vorgehen vorliegt. Ansonsten wäre die Einzelfallbetrachtung für den Tatbestand der Steuerhinterziehung im Rahmen des § 100a StPO obsolet, setzt dieser doch bereits abstrakt jeweils bandenmäßige Vorgehen in § 100a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StPO voraus. Hier wird es vielmehr auch auf das zeitliche Ausmaß der Begehung, die kriminelle Intensität sowie ein systematisches Vorgehen ankommen.
Rz. 667
Gleiches wird man mit Blick auf das Ausmaß des Schadens annehmen müssen und die Übersteigung eines Hinterziehungsbetrages von 50.000 EUR (dann nach höchstrichterlicher Rspr. Verkürzung in "großem Ausmaß") nicht schematisch als im Einzelfall schwerwiegender Schaden werten können. Gleichwohl wird man in solchen Fällen die Schwere des Einzelfalles nur in Ausnahmefällen verneinen können.
d) Subsidiaritätsklausel
Rz. 668
Materielle Eingriffsvoraussetzung ist ferner die Aussichtslosigkeit und wesentliche Erschwernis der Erforschung des Sachverhalts oder Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise (Subsidiarität, § 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO). Die TKÜ muss folglich mit Blick auf ein ertragreiches Ermittlungsverfahren in gewissem Maße unumgänglich sein. Andere Ermittlungsmöglichkeiten dürften nicht zur Verfügung stehen oder nicht erfolgsversprechend sein. Reine Kostengründe vermögen die Maßnahme nicht zu rechtfertigen.
e) Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Rz. 669
Maßnahmen zur TKÜ dürfen im Übrigen nicht unverhältnismäßig sein, müssen dabei in erster Linie schuldangemessen sein (Übermaßverbot). Der Gesetzgeber hat diesem Grundsatz bereits mit der Einschränkung auf genannte Katalog-Steuerdelikte Rechnung getragen. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Anordnung im Einzelfall bleibt dessen ungeachtet obligatorisch. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, kann sie die erhofften Ergebnisse nicht hervorbringen und damit im Verhältnis die Schwere des Eingriffs nicht mehr aufwiegen (§ 100a Abs. 5 Satz 1 StPO).