Rz. 641

[Autor/Stand] § 121 Abs. 1 StPO bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantierte Freiheit der Person nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Dies gebietet es, den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege aus erforderlich sind, ständig den Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegenzuhalten.[2] Zwischen diesen beiden Belangen ist abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt. Ferner ist zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößern wird.

 

Rz. 642

[Autor/Stand] Bei der Feststellung der Voraussetzungen von § 121 Abs. 1 StPO kommt es entscheidend darauf an, ob die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte ihrerseits alle zumutbaren Maßnahmen getroffen haben, um die Ermittlungen so schnell wie möglich abzuschließen und ein Urteil herbeizuführen. § 121 Abs. 1 StPO lässt nur in begrenztem Umfang eine Fortdauer der Untersuchungshaft zu und ist nach allgemeiner Meinung eng auszulegen.[4] Eine Untersuchungshaftfortdauer über sechs Monate hinaus kann etwa nicht mit dem Umfang des gegen weitere Personen geführten Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt werden, wenn das Verfahren gegen den in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten schon Monate vor der Anklageerhebung abschlussreif war und hätte abgetrennt werden können.[5] Die Untersuchungshaft darf auch nicht aufrechterhalten werden, um weitere Straftaten zu ermitteln und aufzuklären, die selbst nicht Gegenstand des Haftbefehls sind.[6]

 

Rz. 643

[Autor/Stand] In den Fällen des § 121 StPO legt das zuständige Gericht die Akten auf Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem OLG vor (OLG-Vorlage). Der Beschuldigte und sein Verteidiger sind vorher anzuhören. Das OLG kann den Vollzug des Haftbefehls nach § 116 StPO aussetzen (§ 122 Abs. 3 StPO). Sind in derselben Sache mehrere Beschuldigte in Untersuchungshaft, kann das OLG über die Fortdauer der Untersuchungshaft auch solcher Beschuldigter entscheiden, für die es noch nicht zuständig wäre (§ 122 Abs. 6 StPO). Die Frist des § 121 Abs. 1 StPO ruht derweil (§ 121 Abs. 3 Satz 1 StPO).

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[2] OLG Nürnberg v. 21.4.1997 – Ws 1394/95 unter Verweis auf BVerfG v. 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, BVerfGE 36, 264 (270); BVerfG v. 6.2.1980 – 2 BvR 1070/79, BVerfGE 53, 152 = MDR 1980, 822 (158).
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[4] BVerfG v. 6.8.1990 – 2 BvR 918/90, NJW 1991, 689; BVerfG v. 4.8.1994 – 2 BvR 1291/94, NStZ 1994, 553.
[5] OLG Oldenburg v. 15.2.2010 – HEs 3/10, StraFo 2010, 198.
[6] OLG Oldenburg v. 15.2.2010 – HEs 3/10, StraFo 2010, 198; die der Entscheidung zugrunde liegende Situation war u.a. dadurch gekennzeichnet, dass die Sachverhalte übersichtlich und die den Beschuldigten betreffenden Beweismittel seit längerer Zeit ausgewertet waren, eine bandenmäßige Begehung wurde ihm nicht vorgeworfen.
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022

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