Rz. 360
Ungeklärt ist weiter, ob eine tatsächliche Verständigung ein Erlöschen i.S.v. § 73e StGB bewirkt. Immerhin soll die Regelung des § 73e StGB "vergleichsfreundlich" wirken. Nach hier vertretener Ansicht muss das Gleiche gelten, was auch sonst für das Bestehen, Erlöschen oder die Durchsetzbarkeit von Steueransprüchen insb. der Höhe nach gilt. Findet bspw. eine tatsächliche Verständigung über 500.000 EUR statt, kann eine strafrechtliche Vermögensabschöpfung nicht weiter gehen, auch wenn Staatsanwaltschaft oder Gericht von einem höheren Schaden ausgehen.
Beispiel
Das Finanzamt schließt mit A eine tatsächliche Verständigung über 500.000 EUR. Die Staatsanwaltschaft erhebt gleichwohl Anklage mit Gesamtschaden von 1,2 Mio., da sie sich an das Ergebnis der tatsächlichen Verständigung nicht gebunden fühlt. Abwandlung: Das Gericht stellt im Hauptverfahren auf der Grundlage eigener Feststellungen einen höheren Schaden fest.
Meines Erachtens ist aus der Tatsache, dass es sich bei der Steuerhinterziehung um einen Blankettstraftatbestand handelt, zu folgern, dass für die Frage des Erlöschens die steuerlichen Regelungen maßgeblich sind (s. Rz. 343 mit Fußnoten). Ist der Steueranspruch steuerlich nicht mehr oder nicht mehr in größerem Umfang durchsetzbar, muss sich dieses Ergebnis auch im Strafverfahren auswirken. Zudem sprechen Vertrauensschutzgesichtspunkte gegen eine weitere Einziehung im Hauptverfahren. Auch aus der Tatsache, dass der Steueranspruch der Höhe nach zur Disposition des Verletzten, hier des Fiskus, steht, muss m.E. zu folgern sein, dass der Anspruch insoweit erloschen ist. Auch der Wortlaut des § 73e Abs. 1 StGB, der von "soweit" spricht, legt die Annahme nahe, dass entsprechend der alten Rechtslage die Anordnung des Verfalls bzw. des Verfalls von Wertersatz ausgeschlossen sein sollte, soweit Verletzten aus der Tat Ansprüche erwachsen sind, deren Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würden. Die Einschränkung, dass zumindest nach alter Rechtslage der Verletzte entscheiden kann, was er herausverlangt, jedoch nicht bestimmen kann, was der Täter aus der Tat erlangt hat, gilt nach hier vertretener Ansicht im Steuerstrafrecht nur in eingeschränktem Umfang. Dies liegt insb. darin begründet, dass der Steueranspruch und somit die Höhe des Erlangten an sich zur Disposition des Fiskus steht.
Rz. 361
Etwas anderes kann indes gelten, wenn der Beschuldigte im Rahmen der tatsächlichen Verständigung dolos falsche Angaben macht, mithin ggf. eine neue Steuerhinterziehung begeht und von Anfang an nicht willens und in der Lage war, die entsprechenden Steuern zu entrichten, bspw. um im Hauptverfahren eine mildere Bestrafung zu erreichen.
Beispiel
A schließt mit dem Finanzamt im Beisein von Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft eine tatsächliche Verständigung über 1 Mio. EUR ab in Bezug auf hinterzogene Umsatzsteuern. Die Staatsanwaltschaft sagt für den Fall der Zahlung der Steuern zu, das Verfahren gem. § 154 StPO zu beschränken und im Rahmen der Hauptverhandlung keine höhere Strafe als zwei Jahre zu fordern. Wie von Anfang an geplant, zahlt A nicht und verteidigt sich im Hauptverfahren konfliktreich.