Rz. 614

[Autor/Stand] Die Annahme dieses Haftgrundes setzt ein Verhalten des Beschuldigten voraus, das den dringenden Verdacht begründet, durch bestimmte Handlungen werde auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird (z.B. Bedrohung von Zeugen).[2] Da die bloße Gefahr ausreicht, ist eine prognostische Entscheidung zu treffen, wobei die konkrete Handlung nicht eindeutig festgestellt werden muss.[3] Die Verdunklungsgefahr lässt sich jedoch nicht allein aus der Eigenart des dem Beschuldigten vorgeworfenen Delikts der Steuerhinterziehung ableiten.[4] Dies würde zu einer nicht hinnehmbaren gesetzlichen Vermutung führen.[5] Für die Annahme von Verdunklungsgefahr müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, aus denen konkret und durch Tatsachen belegt auf die Gefahr der verdunkelnden Einflussnahme geschlossen werden kann. Dazu sind alle Umstände des Einzelfalles zu prüfen.

 

Rz. 615

[Autor/Stand] Da die Untersuchungshaft keine Beugehaft und der Beschuldigte nicht verpflichtet ist, sich zur Sache einzulassen, darf Verdunkelungsgefahr auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Beschuldigte das Versteck der Beute nicht preisgibt.[7] Gleiches muss gelten, wenn der Beschuldigte seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt.

Auf die fahnderische Erfahrung, dass, wer seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt und sich passiv verhält, auch Beweismittel manipuliert, kann der Haftbefehl nicht gestützt werden. Wie dargelegt, ist ein aktives Einwirken erforderlich, da andernfalls das Selbstbelastungsverbot umgangen würde.

 

Rz. 616

[Autor/Stand] Wenn die Verdunkelungshandlungen nicht geeignet sind, die Ermittlung der Wahrheit zu erschweren, darf nach allgemeiner Ansicht die Untersuchungshaft nicht angeordnet, bzw. aufrechterhalten werden.[9] Der Haftgrund liegt somit nicht vor, wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklärt und die Beweise so gesichert sind, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht mehr behindern kann, selbst wenn er dies wollte. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Beschuldigte unlauter handelt oder berechtigt ist, über das Beweismittel zu verfügen. Sinn und Zweck der Norm ist die Sicherung des staatlichen Strafanspruchs. Verdunkelungsgefahr kann jedoch angezeigt sein, wenn, freilich unter Berücksichtigung der jeweiligen Taten und Tatbeiträge, das Gesamtkonstrukt der Tat auf Verdunkelung angelegt ist, etwa bei organisierter Umsatzsteuerhinterziehung, organisierter Kriminalität im Bereich des Zigarettenschmuggels oder bandenmäßiger Steuerhinterziehung. Im Rahmen der Ermittlung gegen Verantwortliche von Unternehmen und insbesondere bei der mittlerweile standardmäßigen Sicherung der elektronischen Daten, insb. des E-Mail-Verkehrs, kommt in besonderem Maße der Umstand zum Tragen, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr entfällt, wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklärt und die Beweise so gesichert sind oder gesichert werden können, dass der Beschuldigte die Wahrheitsermittlung nicht mehr behindern kann, selbst wenn er dies wollte.

 

Beispiel

Der Beschuldigte A versteckt Depot- und Erträgnisaufstellungen in einer ihm gehörigen, aber nirgends verzeichneten Jagdhütte. Ein Fahndungsbeamter entdeckt die Unterlagen dennoch und erwirkt den Erlass eines Haftbefehls wegen Verdunkelungsgefahr.

[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[2] Vgl. auch BT-Drucks. IV/1020, 2; OLG Hamm v. 6.2.2002 – 2 Ws 27/02, wistra 2002, 236; Park, wistra 2001, 250; Böhm/Werner in MünchKomm, § 112 StPO Rz. 62 ff.
[3] Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt65, § 112 StPO Rz. 31.
[4] OLG Köln v. 20.9.1996 – 2 Ws 492/96, StraFo 1997, 28 (29); zum Ganzen auch Dahs in FS Dünnebier, 1982, S. 234; Münchhalffen in FS Riess, 2002, S. 347; bejahend hingegen noch OLG Koblenz v. 28.1.1976 – 1 Ws 35/76, OLGSt StPO § 112 Satz 37; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt65, § 112 StPO Rz. 30, der jedoch einschränkend auf die Würdigung der konkreten Umstände der Tat abstellt.
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[Autor/Stand] Autor: Peters, Stand: 01.10.2022
[9] Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt65, § 112 StPO Rz. 35.

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