aa) Grundsätze der erweiterten Einziehung
Rz. 383
Kann wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, so ordnet das Gericht gem. § 76a Abs. 1 StGB die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung selbständig an, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Maßnahme vorgeschrieben ist, im Übrigen vorliegen. Ein aus einer rechtswidrigen Tat – die nicht die dem Beschuldigten angelastete Tat sein muss, sondern jede rechtswidrige Tat sein kann – herrührender Gegenstand, der in einem Verfahren wegen des Verdachts einer in § 76a Abs. 4 Satz 3 StGB genannten Straftat sichergestellt worden ist, soll auch dann selbständig eingezogen werden, wenn der von der Sicherstellung Betroffene nicht wegen der Straftat verfolgt oder verurteilt werden kann. Die völlig neuartige Norm, der Fall der "non-conviction-based confiscation", schafft in den genormten Katalogfällen (der Schwerkriminalität) die Abschöpfung von Vermögenswerten unklarer Herkunft. Dies entspricht dem ausdrücklichen Willen des Reformgesetzgebers. Die Vorschrift des § 76a Abs. 4 StGB ist als "Soll-Vorschrift" ausgestaltet, so dass nach dem Willen des Gesetzgebers unverhältnismäßige Einziehungsanordnungen vermieden werden können. Dies gilt auch bei gutgläubigen Drittbegünstigten, die bspw. den betroffenen Gegenstand in Erfüllung einer nicht bemakelten entgeltlichen Forderung erlangt haben, deren Entstehung und Inhalt in keinem Zusammenhang mit der Tat steht. Fleckenstein stellt daher zutreffend fest, dass über die Ermessenausübung des § 76a Abs. 4 StGB (Soll-Vorschrift) i.V.m. § 437 StPO (Berücksichtigung des Einzelfalles) doch die Grundüberlegungen der §§ 73–73d StGB relevant werden.
Rz. 384
Nach § 76a Abs. 4 StGB i.V.m. den §§ 435 ff. StPO ist nunmehr auch die Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft möglich, sofern eine Tat nach § 76 Abs. 4 StGB vorliegt. Ziel soll es sein, strafrechtswidrige Vermögenslagen zu beseitigen, um die Nutznießung von Verbrechensgewinnen oder deren Reinvestition in kriminelle Aktivitäten zu verhindern (die Gesetzesbegründung spricht von einer Beseitigung der Störung der Vermögensordnung, um so der materiellen Rechtsordnung Geltung zu verschaffen). Dogmatisch soll es sich um eine in die Zukunft gerichtete Maßnahme der Vermögensabschöpfung handeln, die nicht dem Schuldgrundsatz unterliegt und daher eine verfassungskonforme Beweislastumkehr ermöglicht.
Rz. 385
Zu Recht wird betont, dass das BVerfG in seinem Beschluss vom 14.1.2004 hervorgehoben hat, dass sich der Tatrichter "durch Ausschöpfung der vorhandenen Beweismittel" von der deliktischen Herkunft des Gegenstands zu überzeugen hat, die deliktische Erlangung müsse so "hoch wahrscheinlich" sein, dass sie sich "geradezu aufdränge". Von einer "Ausschöpfung der Beweismittel" kann aber nicht die Rede sein, wenn bei Anwendung eines sog. "Missverhältnis"-Kriteriums aufgrund einer Regelvermutung zum Nachteil des Beschuldigten die Einziehung angeordnet werden kann. Wegen der weitreichenden Folgen wird dies auf evidente Fälle der bandenmäßigen Steuerhinterziehung von Umsatz- und Verbrauchsteuern beschränkt sein.
Rz. 386
Die Neufassung führt in der Praxis indes bereits zu Friktionen, wenn sicher ist, dass etwa bestimmte Gegenstände aus Straftaten stammen, diese jedoch keiner Anknüpfungstat zugeordnet werden können.
Beispiel
Im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle finden sich im Kofferraum bei A, B und C 500 Packungen Kaffee, 250 Duschgels und jede Menge hochwertiger Parfums. Daneben findet sich im Auto eine noch abzuarbeitende Stehlliste. Die Gegenstände können keiner konkreten Straftat zugeordnet werden. Eine Durchsuchung der Wohnung bleibt erfolglos.
Ergebnis: Eine Einziehung kann mangels Anknüpfungstat nicht stattfinden, obgleich evident ist, dass hier gewerbs- und bandenmäßiger Diebstahl im Raume steht.
Eine erweiterte Einziehung nach § 76a StGB kommt bei jeder rechtswidrigen Tat in Betracht, hinsichtlich derer ein Tatnachweis geführt ist. Eingezogen werden kann jedweder Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat. Kann wegen der Straftat keine bestimmte Person verfolgt oder verurteilt werden, ordnet das Gericht gem. § 76a StGB die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung selbständig an, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Maßnahme vorgeschrieben ist, im Übrigen vorliegen.