Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Zur Rechtsnatur
Rz. 156
Der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl ist wie die Wiederaufnahme des Verfahrens oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (s. § 385 Rz. 840, 853) ein sog. Rechtsbehelf. Im Gegensatz zu den Rechtsmitteln (Beschwerde, Berufung, Revision), die auf eine Abänderung oder Beseitigung der Entscheidung durch ein höheres Gericht abzielen (Devolutiveffekt), findet die Hauptverhandlung über den Rechtsbehelf des Einspruchs vor demselben Richter statt, der den Strafbefehl erlassen hat. Mit den Rechtsmitteln gemeinsam hat der Einspruch nur den Suspensiveffekt (§ 410 Abs. 2 StPO), d.h. durch die Einlegung des Einspruchs wird der Eintritt der formellen Rechtskraft gehindert. Ferner bestimmt § 410 Abs. 1 Satz 2 StPO, dass die allgemeinen Vorschriften über Rechtsmittel (§§ 297–300 und § 302 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO) entsprechend anzuwenden sind.
Rz. 157
Die Besonderheit des Einspruchs liegt überdies darin, dass er nicht zur Nachprüfung des Strafbefehls führt. Denn er stellt nur die besondere Form der Erklärung des Angeklagten dar, dass er sich dem summarischen Spruch nicht unterwerfe, sondern die Durchführung der Hauptverhandlung verlange. In dieser wird sodann unabhängig von dem Strafbefehl verhandelt. Gegenstand der Urteilsfindung ist dann nur die im Strafbefehl bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt (Begrenzungsfunktion, § 264 Abs. 1 StPO analog).
Rz. 158
Mit der Einlegung des Einspruchs verliert die FinB ihre selbständige Rechtsstellung nach § 386 Abs. 2, §§ 399, 406 AO, so dass die Vertretung der Anklage durch die StA zu erfolgen hat (§ 406 Abs. 1 AO).
II. Frist und Form
Rz. 159
Der Einspruch muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Strafbefehls bei dem AG, das den Strafbefehl erlassen hat, schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden (§ 410 Abs. 1 Satz 1 StPO). Befindet sich der Angeklagte z.B. in U-Haft, so kann er den Einspruch auch bei dem zuständigen AG der Haftanstalt einlegen (§ 410 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 299 StPO).
Zur Zustellung des Strafbefehls s. Rz. 144. Lässt sich nicht sicher feststellen, wann der Strafbefehl zugestellt worden ist, muss der Einspruch zugunsten des Angeklagten als rechtzeitig behandelt werden.
Rz. 160
Gemäß § 44 StPO ist bei entschuldigter Versäumung der Einspruchsfrist unter bestimmten Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang mehrfach ausgesprochen, dass "das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die unter dem Blickwinkel der Rechtsschutzgarantien des Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geforderte Ergänzung ihres nur ‚summarischen‘ Charakters und jener Risiken, die für den Betroffenen in der Zulässigkeit der Ersatzzustellung liegen", sei. Entgegen einer häufig zu beobachtenden Praxis der Instanzgerichte, die ein Verschulden des Betroffenen auch dann annehmen, wenn dieser in Urlaub gefahren ist, ohne für die Nachsendung der Post zu sorgen, ist es – von Ausnahmen (z.B. mehrmonatiger Auslandsaufenthalt) abgesehen – grds. nicht als verschuldete Unkenntnis von der Zustellung anzusehen, wenn der Angeklagte für diese Zeit keine besonderen Vorkehrungen getroffen hat, damit ihn mögliche Zustellungen erreichen, selbst wenn er von dem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren Kenntnis hat. Dies kann natürlich dann nicht gelten, wenn der Beschuldigte etwa die umgehende Abholung eines bekanntlich hinterlegten Strafbefehls vernachlässigt oder sich der erwarteten Zustellung vorsätzlich entzogen hat.
Rz. 161
Auch vor Zustellung des Strafbefehls kann bereits der Einspruch eingelegt werden, sofern der Strafbefehl schon erlassen ist.
Rz. 162
Der Einspruch ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des AG zu erheben. Ein schriftlich eingelegter Einspruch ist grds. zu unterschreiben.
Der Schriftform genügt auch die fernschriftliche und elektronische Einlegung (zu den Neuerungen durch Gesetz vom 5.7.2017 s. § 385 Rz. 782 ff.). So kann der Einspruch per Telefax übermittelt werden oder per E-Mail mit elektronischer Signatur oder einem sonstigen sicheren Übermittlungsweg nach § 32a Abs. 3 und 4 StPO 2 bei dem Richter, der den Strafbefehl erlassen hat. Die telefonische Abgabe der Erklärung gegenüber der Geschäftsstelle genügt dagegen nicht der Schriftform.
Rz. 163
Eine bloß falsche Bezeichnung des Einspruchs ist gem. § 410 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 300 StPO unschädlich.
Beispiel
Der A schreibt, er lege "Rechtsmittel" oder "Widerspruch" gegen den gegen ihn erlassenen Strafbefehl ein.
Der B übersendet fristgerecht ein Schreiben, in dem er unzweideutig zu erkennen gibt, dass er den Strafbefehl...