Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 202
Bei einer Anberaumung der Hauptverhandlung nach Einlegung des Einspruchs (§ 411 Abs. 2 Satz 2 StPO) wird das Strafbefehlsverfahren mit den nachfolgend dargestellten Einschränkungen in das "gewöhnliche" Strafverfahren übergeleitet (s. Rz. 198 f.).
Darüber hinaus ist Folgendes zu beachten: Der Strafbefehl hat auch hier die Funktion der Anklageschrift (§ 407 Abs. 3 Satz 4 StPO). Die Hauptverhandlung wird ebenfalls ohne förmlichen Eröffnungsbeschluss durch richterliche Verfügung anberaumt. Die verfahrensbegrenzende Wirkung des Eröffnungsbeschlusses ergibt sich hier aus dem zuvor vom Richter erlassenen Strafbefehl (s. Rz. 153).
Wird nach Einspruch ein in dem Strafbefehl nicht angegebenes Tun des Angeklagten abgeurteilt, so ist das Verfahren vom Revisionsgericht wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen: Mangels wirksamer Anklage darf dann keine Sachentscheidung und daher auch kein Freispruch erfolgen.
Rz. 203
Nach § 411 Abs. 2 StPO kann sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen. Dies gilt auch für die Berufungsinstanz.
Erforderlich ist eine zu Beginn der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht vorliegende – "ausdrücklich" erteilte schriftliche Vertretungsvollmacht, um zu gewährleisten, dass der in der Hauptverhandlung auftretende Verteidiger tatsächlich von dem Angeklagten entsprechend beauftragt ist. Eine bloße Verteidigungsvollmacht genügt daher nicht.
Gleichwohl kann das Gericht trotz des Rechts zur Vertretung das persönliche Erscheinen des Angeklagten nach § 236 StPO anordnen. Erscheint der Angeklagte entgegen der Anordnung nicht, so kann das Gericht den Einspruch aber nicht verwerfen, sofern der Angeklagte im Übrigen ordnungsgemäß vertreten ist. Es kann lediglich die polizeiliche Vorführung gem. § 236 StPO anordnen oder einen Haftbefehl erlassen. Eine derartige Zwangsmaßnahme darf allerdings nur unter besonderer Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angeordnet werden, wobei die Anordnung insb. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen darf.
Rz. 204
Die Vollmacht bedarf der Schriftform (§ 411 Abs. 2 StPO), wobei es genügt, wenn die Vollmachtsurkunde von einem Dritten nach mündlicher Ermächtigung durch den Angeklagten mit dessen Namen unterzeichnet ist.
Beispiel
S, gegen den ein Strafbefehl ergangen ist, ruft im Büro seines Anwalts an und bittet dessen Sekretärin, die Strafprozessvollmacht mit seinem – des S – Namen zu unterzeichnen.
Ebenfalls ausreichend ist die schriftliche Erklärung der Vollmachtserteilung durch den Angeklagten zu Protokoll des Gerichts.
Die Vollmacht muss spätestens bis zum Beginn der Hauptverhandlung vorliegen. Eine in der Hauptverhandlung nachträgliche schriftliche Bestätigung einer zuvor mündlich erteilten Vollmacht genügt hingegen nicht.
Im Fall einer Untervollmacht kann auf das Schriftlichkeitserfordernis verzichtet werden, sofern die Hauptvollmacht ordnungsgemäß erteilt worden ist und die Untervollmacht auf andere Weise sichtbar nachgewiesen werden kann.
Rz. 205
Die Vollmachtserteilung muss die Befugnis zur Vertretung des Angeklagten umfassen. Im Gegensatz zur allgemeinen Verteidigervollmacht, nach der der Verteidiger nur als Beistand des Beschuldigten tätig ist (§ 137 Abs. 1 StPO), hat die Vertretungsmacht nach § 411 Abs. 2 StPO zur Folge, dass der Verteidiger an die Stelle des Angeklagten tritt, dessen Verfahrensrechte wahrnimmt (z.B. Anwesenheit, rechtliches Gehör, Ablehnungsrecht gem. § 24 Abs. 3 StPO, Rechtsmittelbefugnis) und mit Wirkung für ihn Erklärungen abgeben und entgegennehmen kann. Es genügt, wenn die Vollmacht eine ausdrückliche Ermächtigung "zur Vertretung" oder "zur Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten" zum Inhalt hat oder nur allgemein auf die Vertretung des Angeklagten "für den Fall der Abwesenheit" lautet. Soweit eine Vollmacht fehlt oder diese nicht ordnungsgemäß erteilt worden ist, führt das Ausbleiben des Angeklagten auch dann zur Verwerfung des Einspruchs ohne Beweisaufnahme, wenn der nicht oder fehlerhaft bevollmächtigte Verteidiger anwesend ist.
Rz. 206
Der Angeklagte ist in der Hauptverhandlung bereits dann ordnungsgemäß vertreten, wenn der bevollmächtigte Verteidiger für den Angeklagten anwesend ist. Voraussetzung ist allerdings, dass er seinen Mandanten auch tatsächlich vertreten will; die bloß körperliche Anwesenheit eines bevollmächtigten Verteidigers reicht mithin nicht aus. Der Verteidiger braucht jedoch keine Erklärung zur Sache abzugeben.
Rz. 207
Gemäß § 412 Abs. 1 StPO hat das unentschuldigte Ausbleiben des Angeklagten zur Folge, dass der Einspruch ohne Beweisaufnahme verworfen wird. Dies gilt jedoch nur, wenn nicht bereits in einem früheren Termin zur Sache verhandelt worden ist. Ein Ausbleiben des Angeklagten liegt sowohl dann vor, wenn er körperlich nicht anwesend ist, als auch dann, wenn sich der Angekla...