Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. § 30 Abs. 4 OWiG
Rz. 58
Die gesetzliche Zulässigkeit der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße bestimmt sich nach § 30 OWiG (s. dazu eingehend die Ausführungen zu § 377 Rz. 109 ff.) Die isolierte Verbandsgeldbuße ist nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 OWiG zulässig.
Rz. 59
Einstweilen frei.
2. Anknüpfungstat einer Leitungsperson
Rz. 60
Siehe § 377 Rz. 117 ff. Einer der in § 30 Abs. 1 Nr. 1–5 OWiG enumerativ genannten Repräsentanten einer JP/PV hat eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen (sog. Anknüpfungstat), durch die Pflichten der JP/PV verletzt wurden oder die JP/PV bereichert worden ist oder werden sollte. Im hier interessierenden Zusammenhang kommen insbesondere eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bzw. eine Beihilfe hierzu (§ 27 StGB) oder eine leichtfertige Steuerverkürzung (§ 378 AO) oder Ordnungswidrigkeiten nach dem UStG (z.B. § 26a UStG, s. dazu § 377 Rz. 281 ff.) sowie Sozialabgabenverkürzung (§ 266a StGB), Untreue (§ 266 StGB) und Korruptionsdelikte (§§ 299, 331 ff. StGB) in Betracht. Das Antragsrecht der FinB besteht jedoch nur bei reinen Steuerdelikten, ansonsten ist die StA zuständig (s. Rz. 7, 56).
Rz. 61
Die Verletzung der Aufsichtspflicht durch den Betriebsinhaber bzw. sonstige Führungspersonen (§ 130 OWiG) gehört ebenso zu den Pflichten i.S.d. § 30 Abs. 1 OWiG (s. § 377 Rz. 119, 171 ff. und § 378 Rz. 166) und kann daher Vortat einer selbständigen Verbandsgeldbuße sein. In der Praxis ist ein derartiger Sorgfaltsverstoß sogar die häufigste Anknüpfungstat i.S.d. § 30 OWiG. Der Organisationsmangel muss aber dem Unternehmen nachgewiesen werden.
Rz. 62
Auch das Unterlassen unternehmensinterner Ermittlungen bei konkreten Anhaltspunkten für Verstöße gegen die Aufsichtspflicht kann ggf. als Ordnungswidrigkeit der Unternehmensleitung zu einer Geldbuße führen (§§ 30, 130 OWiG). Angesichts dieser Haftungsrisiken sind Risikoanalyse und Implementierung eines Compliance-Systems in Unternehmen (z.B. durch Vier-Augen-Prinzip, Job-Rotation, Handlungsanweisungen, whistle-blowing) zwecks Prävention und Exkulpation dringend angeraten (s. dazu eingehend § 377 Rz. 405 ff.).
Rz. 63
Es muss sich um eine unternehmensbezogene Zuwiderhandlung handeln, die mit dem Funktionskreis des Täters im Unternehmen in einem inneren Zusammenhang steht. Das dürfte bei der Verletzung steuerlicher Pflichten regelmäßig der Fall sein.
3. Nichtverfolgung der Organtat
Rz. 64
Wegen der Anknüpfungstat wurde ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen deren Täter nicht eingeleitet oder ein bereits eingeleitetes Verfahren wurde eingestellt oder es wurde von Strafe abgesehen (§ 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG).
Rz. 65
Der Verfolgung der Tat gegen eine bestimmte Person können tatsächliche Gründe entgegenstehen, z.B. der Tod des Organs der JP/PV oder die Entziehung durch Flucht.
Rz. 66
Die Identität des Täters muss nicht feststehen. Die isolierte Verhängung einer Verbandsgeldbuße kommt z.B. auch in Betracht, wenn unklar ist, welcher von mehreren Repräsentanten die Straftat begangen hat, aber einer auf jeden Fall gehandelt haben muss (sog. anonyme Verbandsgeldbuße). Das gilt auch bei einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG, wenn nicht feststeht, welche Leitungsperson zuständig war, und dies auf einen Organisationsmangel zurückzuführen ist, für den alle Organmitglieder verantwortlich sind. In beiden Fällen darf jedoch in Bezug auf alle in Betracht kommenden Täter kein rechtliches Verfolgungshindernis bestehen (s. dazu Rz. 71 ff.).
Rz. 67
Auch wenn mehrere Organmitglieder an der Anlasstat beteiligt waren, kann gleichwohl nur eine Geldbuße gegen das Unternehmen festgesetzt werden.
Rz. 68
Gemäß § 30 Abs. 4 Satz 1 OWiG kommt die Festsetzung einer Geldbuße im selbständigen Verfahren auch dann in Betracht, wenn "das Verfahren eingestellt wird".
Umstritten ist dabei, ob auch die Einstellung der Anlasstat gem. § 153a StPO bzw. die Ahndung im Strafbefehlsverfahren gem. § 407 Abs. 2 Nr. 1 StPO tauglicher Anknüpfungspunkt für eine isolierte Unternehmensgeldbuße...