Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Entstehungsgeschichte
Rz. 1
Vorläufer des § 402 AO 1977 war § 437 RAO i.d.F. des AOStrafÄndG 1967, der sachlich und seinem Wortlaut nach weitgehend mit § 402 AO 1977 identisch war. Die AO 1977 hat lediglich den Begriff "Finanzamt" in "Finanzbehörde" geändert sowie die Verweisungen angepasst.
Die Vorschrift war die Folge der Entscheidung des BVerfG, das die Kriminalstrafgewalt der FinB für verfassungswidrig erklärt hatte (s. § 386 Rz. 5). Damit war das Verwaltungsstrafverfahren hinfällig geworden und die Kompetenzen zwischen StA und FinB im Ermittlungsverfahren mussten neu geregelt werden. Mit der Vorschrift des § 437 Abs. 2 RAO (= § 402 Abs. 1 AO) wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die Rechte und Pflichten der FinB "in einem Ermittlungsverfahren, das die StA durchführt, sowohl demjenigen Finanzamt zukommen, das die betroffene Steuer verwaltet, als auch demjenigen Finanzamt, dessen Zuständigkeit im Interesse einer Zuständigkeitskonzentration von Steuerstrafsachen durch eine Rechtsverordnung aufgrund des § 412 Abs. 2 begründet worden ist".
II. Zweck und Bedeutung
Rz. 2
In § 402 AO wird die Rechts- und Pflichtenstellung der FinB i.S.d. § 386 Abs. 1 Satz 2 AO in den Strafverfahren festgelegt, in denen abweichend von § 386 Abs. 1 und 2 AO i.V.m. § 399 AO nicht die FinB als "Steuerstaatsanwaltschaft", sondern die ("normale") StA das Ermittlungsverfahren führt (vgl. § 386 Abs. 3 und 4 AO). Die FinB rückt also in die Stellung der "Steuerkriminalpolizei". Dadurch wird die Mitwirkung der FinB, d.h. der Strafsachenstellen der HZÄ und FÄ, der Familienkassen und des BZSt (s. § 386 Rz. 31 ff.) auch in staatsanwaltschaftlich geführten Strafverfahren sichergestellt. In diesen Fällen hat sie dieselben Rechte und Pflichten wie die Polizeibehörde nach der StPO und darüber hinaus die sich aus § 399 Abs. 2 Satz 2 AO ergebenden Befugnisse (s. § 385 Rz. 72, 76, 94 ff., § 399 Rz. 61 ff.).
Die angeschlossenen Finanzämter behalten diese polizeilichen Befugnisse auch bei einer Zuständigkeitskonzentration gem. § 387 Abs. 2 AO auf eine Gemeinsame Strafsachenstelle (§ 402 Abs. 2 AO).
III. Anwendungsbereich und Normzusammenhang
Rz. 3
Die §§ 402, 403 AO gelten im staatsanwaltschaftlich geführten Ermittlungsverfahren wegen eines Steuerdelikts oder einer gleichgestellten Straftat. Die StA – und nicht die FinB – führt die Ermittlungen zum einen in Fällen, in denen der Beschuldigte neben Steuerdelikten zugleich andere allgemeine Straftaten begangen hat (arg. e§ 386 Abs. 2 AO, streitig, s. dazu Rz. 7), sowie zwingend dann, wenn gegen den Beschuldigten wegen der Tat ein Haftbefehl oder ein Unterbringungsbefehl erlassen ist (§ 386 Abs. 3 AO). Zum anderen kann die FinB die Strafsache an die StA abgeben (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO) oder die StA kann von ihrem Evokationsrecht Gebrauch machen und die Strafsache an sich ziehen (§ 386 Abs. 4 Satz 2 AO). Bei Rückgabe erlangt die FinB dann wieder die Rechtsstellung als Steuerstaatsanwaltschaft.
Rz. 3.1
Der Anwendungsbereich hängt davon ab, ob das Ermittlungsverfahren durch die StA oder die FinB selbständig geführt wird (s. Rz. 2). § 402 AO und § 399 AO schließen sich daher gegenseitig aus.
§ 402 AO wird ergänzt durch § 403 AO, der die besonderen Beteiligungsrechte der "sonst zuständigen" FinB im Ermittlungsverfahren der StA regelt.
Rz. 3.2
Eine entsprechende Regelung sieht § 63 Abs. 1 OWiG für das Ermittlungsverfahren bei Steuerordnungswidrigkeiten vor.