Ergänzender Hinweis: Nr. 91 Abs. 4 AStBV (St) 2023/2024; s. AStBV Rz. 91.

 

Rz. 11

[Autor/Stand] Sind die Zuständigkeiten mehrerer FinB gem. § 387 Abs. 2 AO bei einer Straf- und Bußgeldsachenstelle konzentriert worden (s. § 387 Rz. 35 ff.), behält jede der angeschlossenen FinB, also die Besteuerungsbehörden, die sich aus Abs. 1 ergebenden Befugnisse und Pflichten (§ 402 Abs. 2 AO), d.h. sie können als funktionale Strafverfolgungsorgane die genannten unaufschiebbaren Anordnungen treffen (sog. erster Zugriff, s. Rz. 5–9).[2] Die Zuständigkeitskonzentration lässt daher das Recht und die Pflicht der einzelnen FinB unberührt, als Hilfsorgan auch für die StA tätig zu werden.

Mit Recht kann man bezweifeln, ob die Steuerbeamten mit dieser strafprozessualen Notkompetenz überfordert sind.[3] Den Beamten der Besteuerungsdienststellen sind im Übrigen dieselben Grenzen gesteckt wie den Beamten der Strafsachenstellen betreffend die Ermittlungen bzgl. tateinheitlich oder tatmehrheitlich konkurrierender allgemeiner Straftaten (streitig,[4] s. Rz. 7 m.w.N.).

Umstritten ist in dem Zusammenhang, ob grundsätzlich für alle Beamten der für das Besteuerungsverfahren zuständigen FinB, insbesondere auch für die Außenprüfer, das Legalitätsprinzip gilt, mit der Folge, dass die Nichterfüllung der Pflichten aus § 399 Abs. 2 AO zur Strafbarkeit wegen Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen (§§ 258a, 13 StGB) führen.[5] Demgegenüber wird vertreten, dass der im Besteuerungsverfahren tätige Finanzbeamte zwar das Recht, nicht aber die Pflicht zur Einleitung eines Strafverfahrens habe, weil Nr. 130 Abs. 1, 3 AStBV (St) (s. AStBV Rz. 130), für die Betriebsprüfung § 10 Abs. 1 Satz 1, 2 BpO und Nr. 131 AStBV (St) 2023/2024 (s. AStBV Rz. 131) lediglich die Verpflichtung zur Information der Strafsachenstelle bzw. der Fahndungsbehörde bestimme.[6]

Zu den Möglichkeiten der Entkriminalisierung der Außenprüfung vgl. näher auch § 393 Rz. 151 ff. m.w.N.

 

Rz. 12

[Autor/Stand] Abgesehen davon haben die Festsetzungs- und Besteuerungsfinanzämter im Rahmen der AO eine Parallelfunktion (§ 208 Abs. 3 AO, Vorfeldermittlungen) sowie die abgabenrechtlichen Ermittlungsbefugnisse zur Auskunftseinholung (§ 92 Satz 2 Nr. 1, § 93 AO), zur Hinzuziehung von Sachverständigen (§ 93 Satz 2 Nr. 2, § 96 AO), zur Beiziehung von Urkunden und Akten (§ 93 Satz 2 Nr. 3, § 97 AO) und zur Einnahme des Augenscheins (§ 93 Satz 2 Nr. 4, §§ 98, 99, 100 AO). Zudem kann der dingliche Arrest nach § 324 AO nur durch die für die Steuerfestsetzung zuständige FinB (= Veranlagungs-FA), also nicht durch die Steufa oder die BuStra, angeordnet werden (s. dazu § 385 Rz. 480; § 399 Rz. 540 ff.).

[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.05.2024
[2] Webel in JJR9, § 402 AO Rz. 11; krit. zu den Ungereimtheiten des § 402 Abs. 2 AO gegenüber § 399 Abs. 2 AO Hellmann, Neben-Strafverfahrensrecht, S. 356 und Tormöhlen in HHSp., § 402 AO Rz. 6, 14.
[3] So Hellmann, Neben-Strafverfahrensrecht, S. 359; zweifelnd wohl auch Jäger in Klein17, § 402 AO Rz. 5.
[4] A.A. Tormöhlen in HHSp., § 402 AO Rz. 14 f.; Webel in JJR9, § 402 AO Rz. 15; Jäger in Klein17, § 402 AO Rz. 5.
[5] So aber das LG Stuttgart v. 24.3.2020 – 61 Ns 142 Js 114222/16, NStZ 2021, 544 Rz. 18 = ZWH 2021, 140 = wistra 2021, 211 m. Anm. Buse, AO-StB 2021, 11; Figatowski, jurisPR-SteuerR 471/202, Anm. 1; Kramer/Altenburg, NZWiSt 2021, 266; Oesterle, NStZ 2021, 548.
[6] Oesterle, NStZ 2021, 548; differenzierend Hellmann in Hilgendorf/Kudlich/Valerius, Handbuch des Strafrechts, Bd. 9, § 71 Verfahrensbesonderheiten im Steuerstrafrecht, Rz. 60, 62.
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.05.2024

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