a) Allgemein
Rz. 119
Von den Aufgabenzuweisungen an die Steufa stößt insb. die in § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO genannte (Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen in den Fällen begangener Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten) immer wieder auf Kritik, sie birgt doch die Gefahr in sich, dass die "janusköpfige" Steufa (ebenso der Januskopf der Zollfahndungsdienste) ihre steuerlichen und strafprozessualen Ermittlungskompetenzen zum Nachteil des betroffenen Stpfl. ausübt.
Die Probleme mit der parallelen Ermittlungstätigkeit könnten weitestgehend vermieden werden, wenn man mit einer vertretenen Ansicht die Doppelfunktionalität von vornherein für unzulässig hält und der Steufa eine Funktionsausübung ausschließlich als Strafverfolgungsbehörde zuerkennt. Dem steht jedoch die gesetzgeberische Entscheidung mit der Formulierung in § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 AO entgegen.
Rz. 120
Mit der Rspr. des BFH und der herrschenden Ansicht soll es daher entsprechend der doppelten Aufgabenzuweisung grds. nicht zu beanstanden sein, wenn die Steufa das Strafverfahren (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) und das Besteuerungsverfahren (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) zeitgleich und parallel nebeneinander durchführt, d.h. doppelfunktional sowohl strafrechtlich als auch steuerrechtlich ermittelt und dabei sogar fortlaufend Aufgabe und Ermittlungsziel (sog. Rollenwechsel) wechselt. Die Aufgabenzuweisungen an die Steufa stehen in keinem Alternativ- oder Ausschließlichkeitsverhältnis; die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens stellt kein Hindernis für steuerrechtliche Ermittlungen dar.
Rz. 121
Die hiernach geschaffene Doppelfunktion der Steufa als Strafverfolgungs- und Steuerermittlungsorgan wirft allerdings die Frage auf, welche Grenzen der daraus erwachsenden Machtfülle zu setzen sind. Die Rechtsposition des Stpfl. soll nicht dadurch geschwächt werden, dass die Ermittler in beiden Verfahren auftreten und zwischen den jeweiligen Befugnissen wechseln können.
Rz. 122
Unabhängig von der doppelten Aufgabenzuweisung kann bereits das Auftreten der Fahndung gegenüber Dritten erheblich in Persönlichkeitsrechte betroffener Stpfl. eingreifen, selbst wenn die Steufa auf rein steuerrechtliche Ebene ermittelt und bspw. ein Auskunftsersuchen an Geschäftspartner des Stpfl. richtet. Wie der BFH betont hat, liegt es für den rechtlichen Laien nahe, dass ein steuerstrafrechtlicher Verdacht im Raum steht, wenn die Steufa ermittelt (s. Rz. 249 f.). Schließlich ist die primäre Aufgabe der Steufa nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, Steuerzuwiderhandlungen zu erforschen. So hat der BFH ein Auskunftsersuchen als unverhältnismäßig angesehen, weil es sich nach den Umständen des entschiedenen Falles als Fortsetzung strafrechtlicher Ermittlungen, die formal eingestellt waren, darstellte:
"Das FA hat trotz der Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO unter dem Briefkopf der Steuerfahndung ein Auskunftsersuchen an den X gestellt. Dadurch konnte beim X der Eindruck erweckt werden, dass weiter gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung strafrechtlich ermittelt werde. Dem X war aufgrund der Durchsuchung seiner Geschäftsräume bekannt, dass gegen den Kläger wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt worden war. Zwar hat sich das FA im Betreff seines Auskunftsersuchens auf ein ‚steuerliches Ermittlungsverfahren‘ bezogen. Dies rechtfertigt jedoch keine andere Beurteilung, da die Unterscheidung der doppelfunktionalen Aufgabenbereiche der Steuerfahndung, Steuerstraftaten zu erforschen und die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, dem Rechtsunkundigen nicht geläufig ist".
b) Grundlegende Verfahrensprinzipien
Rz. 123
Ein gewisses Gegenstück zur praktisch unvermeidlichen Parallelität der Verfahren sowohl in strafrechtlicher als auch in steuerrechtlicher Hinsicht, die noch dazu mit der Steufa durch ein und dasselbe Organ geführt werden, stellt das Verfahrenstrennungsgebot des § 393 AO dar. Nach § 393 Abs. 1 Satz 1 AO müssen die beiden Verfahren nebeneinander und unabhängig voneinander nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften durchgeführt werden (vgl. dazu näher § 393 Rz. 11 ff.) und nach bestimmten Rechtsgrundsätzen miteinander verknüpft werden, um eine klare Funktionszuweisung zu erreichen.
Rz. 124
Damit durch dysfunktionale Ermittlungen der Fahndung nicht die verfassungsrechtlich verankerten Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren ausgehöhlt werden, gebietet es das Rechtsstaats- und Gesetzmäßigkeitsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG), dass das Vorgehen und der Einsatz der Fahndungsbehörden eindeutig voraussehbar, messbar und berechenbar ist (sog. Transparenzgebot). Die Steufa muss dem Stpfl. "mit offenem Visier" gegenübertreten, denn nur dann ist gewährleistet, dass der Stpfl. die ihm aufgrund der jeweiligen Verfahrensart zustehenden Rechte und Pflichten erkennen kann (s. dazu Rz. 370 ff., 410 ff.). Bedeuts...