Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Anhörungsrecht (§ 407 Abs. 1 Satz 1 AO)
Rz. 4
§ 407 Abs. 1 Satz 1 AO enthält den allgemeinen, im ganzen steuerstraf- oder bußgeldrechtlichen Verfahren gültigen Grundsatz der Beteiligung der FinB (vgl. § 403 AO), während die nachfolgenden Vorschriften § 407 Abs. 1 Satz 2–5, Abs. 2 AO Beteiligungspflichten für einzelne bestimmte Fälle regeln.
Rz. 5
Nach § 407 Abs. 1 Satz 1 AO muss das Gericht von Amts wegen der FinB Gelegenheit geben, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt aus für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Rz. 6
Welche FinB sachlich und örtlich zuständig ist, ergibt sich aus den §§ 387–390 AO. Auf die hierzu gemachten Erläuterungen wird verwiesen. Innerhalb der FinB ist die BuStra zuständig (s. § 385 Rz. 83; § 386 Rz. 38; § 387 Rz. 53 f.). Sie entsendet einen Vertreter in die Hauptverhandlung (s. Rz. 16).
Rz. 6.1
Der Vertreter der FinB muss kein Jurist mit der Befähigung zum Richteramt (§ 5 DRiG) sein; auch ein Beamter des gehobenen Dienstes kann diese Aufgabe übernehmen, was auch häufig der Fall ist.
Rz. 6.2
Ob der Vertreter der FinB wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, ist ebenso streitig wie die Zulässigkeit einer Befangenheitsrüge gegenüber dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. Die überwiegende Ansicht im allgemeinen Strafprozessrecht lehnt Letzteres ab; allenfalls könne beim Dienstvorgesetzten des StA nach § 145 GVG auf eine Ersetzung desselben hingewirkt werden. Eine entsprechende Vorschrift für den Vertreter der FinB fehlt. § 83 AO gilt insoweit nur für das steuerliche Verwaltungsverfahren.
Rz. 7
Die Steuer- und Zollfahndung (s. § 385 Rz. 89 ff.; § 404 Rz. 280 ff., 288) hat damit kein besonderes Beteiligungsrecht im gerichtlichen Steuerstrafverfahren. Eine Übertragung der Anwesenheitsbefugnis auf einen Sachgebietsleiter der Steufa, der dann in Vertretung der Strafsachenstelle auftritt, wäre meines Dafürhaltens eine unzulässige Verquickung der gesetzlich vorgesehenen Kompetenzen. Die mit den Ermittlungen betrauten Fahndungsbeamten werden in aller Regel aber im Prozess als Zeugen vernommen werden.
Rz. 8
Auch der Vertreter der BuStra oder die mit den Ermittlungen betrauten Fahndungsbeamten (s. Rz. 16) können als Zeugen oder Sachverständige vom Gericht vernommen werden. Es steht dann im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden, dem auch als Zeugen geladenen Beamten der FinB schon vor seiner Vernehmung die Teilnahme an der Hauptverhandlung im Gerichtssaal zu gestatten. Da für die FinB von Gesetzes wegen keine ständige Anwesenheitspflicht besteht (s. Rz. 9), ist während der Vernehmung die Zuziehung eines zweiten Sitzungsvertreters nicht erforderlich. Die Zeugenstellung der Finanzbeamten hindert die weitere Mitwirkung im Verfahren nicht.
Auch wenn es in der Praxis eher selten vorkommt, ist bei einer Vernehmung Folgendes zu beachten: Finanzbeamte bedürfen vor ihrer Zeugenvernehmung einer Aussagegenehmigung (§ 54 StPO). Wird der Vertreter der BuStra, der an den Ermittlungen beteiligt war, als Sachverständiger vernommen, kann dies die Besorgnis der Befangenheit begründen. Auch kann seine Stellungnahme dann nicht gem. § 256 Abs. 1 StPO verlesen werden.
Die Vernehmung von Finanzbeamten entbindet den Tatrichter jedoch nicht von eigenen Feststellungen zum Umfang der Steuerverkürzungen. Er darf insbesondere nicht Steuerfahndungsberichte oder Betriebsprüfungsberichte oder Schätzungen der FinB seiner Entscheidung ungeprüft zugrunde legen (s. dazu eingehend § 370 Rz. 454 ff. m.w.N.). Auch die Rechtsanwendung obliegt dem Strafrichter, nicht den als Zeugen gehörten Ermittlungsbeamten oder Beamten der Finanzverwaltung. Eine intensive Befragung von Fahndungsbeamten zur Rechtslage anstelle der Anhörung eines von der Verteidigung benannten Steuerberaters kann die Befangenheit des Gerichts begründen.
Rz. 9
Die FinB (BuStra) hat ein Anwesenheits recht in der Hauptverhandlung. Ihre Anwesenheit ist gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben (vgl. § 226 StPO). Für die Praxis schreibt Nr. 94 Abs. 1 AStBV (St) 2023/2024 (s. AStBV Rz. 94) jedoch vor, dass die BuStra grds. den Termin zur Hauptverhandlung wahrzunehmen hat. Nur in einfach gelagerten Fällen und nur im Einvernehmen mit der StA kann von einer Teilnahme abgesehen werden (zur Bindungswirkung der AStBV s. Vor § 385 Rz. 29). Der Vertreter der BuStra soll danach sein Mitwirkungsrecht als Mitwirkungspflicht ansehen (Nr. 94 Abs. 3 AStBV (St) 2023/2024 – s. AStBV Rz. 94 – unter Bezug auf das Erklärungs- und Fragerecht gem. § 407 Abs. 1 Satz 4 und 5 AO, Nr. 127 RiStBV).
Rz. 10
Dem Wortlaut des § 407 Abs. 1 Satz 1 AO ist nicht zu entnehmen, was mit der Formulierung "für die Entscheidung" gemeint ist. Aus dem Vergleich mit § 407 Abs. 2 AO, wo von abschließenden Entscheidungen die Rede ist, sowie aus dem Zweck der Vorschrift ist zu folgern, dass darunter alle End- und Zwischenentscheidungen fallen...