Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
aa) Verweis auf die StPO
Rz. 101
Für die Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter gelten die Bestimmungen der StPO über das gerichtliche Verfahren, insb. über die Hauptverhandlung, entsprechend (§§ 71, 46 Abs. 1 OWiG, § 410 Abs. 1 StPO; s. § 385 Rz. 647 ff.).
bb) Vorbereitung
Rz. 102
Von den Vorschriften der StPO über die Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 213 ff. StPO) ist § 215 StPO (Zustellung des Eröffnungsbeschlusses) unanwendbar, da es im Bußgeldverfahren keinen Eröffnungsbeschluss gibt. Außerdem wird § 216 StPO (Ladung des Angeklagten) durch die im Folgenden näher zu erörternden §§ 73, 74 OWiG modifiziert.
cc) Äußerer Gang
Rz. 103
Der äußere Gang der Hauptverhandlung in Bußgeldsachen entspricht weitgehend dem des Strafverfahrens (§ 243 StPO), doch sind die Besonderheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts zu berücksichtigen. So wird in der Hauptverhandlung nicht der Anklagesatz, sondern die in dem Bußgeldbescheid enthaltene Beschuldigung vom Staatsanwalt oder – bei dessen Abwesenheit – vom Richter verlesen.
dd) Anwesenheit des Betroffenen
Rz. 104
Der Betroffene ist grds. verpflichtet, in der Hauptverhandlung zu erscheinen (§ 73 Abs. 1 OWiG). Das Gericht entbindet ihn auf Antrag vom Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, nicht auszusagen und seine Anwesenheit zur Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich ist (vgl. § 73 Abs. 2 OWiG).
Rz. 105
Hat das Gericht den Betroffenen von der Pflicht zum Erscheinen entbunden, so kann er sich durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen (§ 73 Abs. 3 OWiG).
ee) Verfahren bei Abwesenheit des Betroffenen
Rz. 106
Die Hauptverhandlung wird in Abwesenheit des Betroffenen geführt, wenn er nicht erschienen ist oder vom Erscheinen entbunden war (§ 74 Abs. 1 OWiG). Frühere Vernehmungen oder schriftliche Erklärungen des Betroffenen werden durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts oder durch Verlesung in die Verhandlung eingeführt.
Bleibt der nicht vom Erscheinen entbundene Betroffene ohne genügende Entschuldigung aus, hat das Gericht den Einspruch ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen (§ 74 Abs. 2 OWiG). Über diese Rechtsfolgen ist er in der Ladung zu belehren (§ 74 Abs. 3 OWiG). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einem Urteil in Abwesenheit ist binnen einer Woche nur wie bei Versäumung der Frist möglich (§ 74 Abs. 4 OWiG).
ff) Teilnahme der Staatsanwaltschaft
Rz. 107
Von Bedeutung ist weiter, dass die StA zur Teilnahme an der Hauptverhandlung nicht verpflichtet ist (§ 75 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Von ihrem Recht zur Teilnahme wird die StA stets dann Gebrauch machen, wenn Anhaltspunkte für eine Straftat gegeben sind (§ 81 OWiG), eine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung zu entscheiden ist oder die Aufklärung eines schwierigen Sachverhalts ihre Mitwirkung erforderlich macht, sie einer Entscheidung durch Beschluss widersprochen hat oder eine Verfahrenseinstellung im öffentlichen Interesse nicht vertretbar erscheint (vgl. Nr. 287 RiStBV). Da bei Steuerordnungswidrigkeiten die FinB als sachnahe Fachbehörde am Verfahren stets zu beteiligen ist (s. Rz. 108) und zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen kann, wird eine Teilnahme der StA sich zumeist erübrigen.
Hält das Gericht die Mitwirkung der StA für angemessen, so teilt sie das der StA mit (§ 75 Abs. 1 Satz 2 OWiG). Verzichtet die StA auf die Teilnahme an der Hauptverhandlung, verliert sie im weiteren Verfahren zwei ihrer Beteiligungsrechte: Das Gericht darf nunmehr das Verfahren ohne Zustimmung der StA (§ 47 Abs. 2 OWiG) einstellen. Desgleichen ist die Rücknahme des Einspruchs in der Hauptverhandlung nicht an die Zustimmung der StA gebunden (§ 75 Abs. 2 OWiG).
gg) Beteiligung der Finanzbehörde (§ 401 Abs. 1 Nr. 11 AO)
Rz. 108
Die FinB hat im gerichtlichen Bußgeldverfahren dieselbe Stellung wie im Steuerstrafverfahren (§ 407 AO i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 11 AO und § 76 OWiG, s. die Erl. zu § 407). Sie hat die in § 407 AO bezeichneten Beteiligungsrechte. Die in Bezug genommene Sonderregel des § 407 AO schließt § 76 Abs. 2 OWiG, wonach das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen die Verwaltungsbehörde im gerichtlichen Verfahren nicht zu beteiligen braucht, aus.
Der Termin der Hauptverhandlung muss dem FA mitgeteilt werden. Der Vertreter des FA hat in der Hauptverhandlung Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzutragen, die für eine Entscheidung (Urteil oder Einstellung, Höhe der Geldbuße, Anordnung einer Nebenfolge) von Bedeutung sind. Vor Einstellung des Verfahrens muss die FinB stets gehört werden. Der Vertreter der FinB hat auch ein selbständiges Fragerecht (§ 407 Ab...