Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Begriff und Zweck
Rz. 52
Als Ermittlungs- oder Vorverfahren bezeichnet man bei der Verfolgung von Bußgeldsachen den Verfahrensabschnitt zwischen der Einleitung von Verfolgungsmaßnahmen bis zum Erlass des Bußgeldbescheids durch die Verwaltungs-/FinB bzw. bis zur Erhebung der Anklage durch die StA bei Zusammenhangstaten oder bis zur Einstellungsverfügung durch die Verfolgungsbehörde. Zweck des Ermittlungsverfahrens ist wie im Strafverfahren, durch Aufklärung des Sachverhalts und Sicherung bzw. Bereitstellung von Beweisen die Entschließung der Verfolgungsbehörde herbeizuführen, ob wegen der Tat eingeschritten wird (Bußgeldbescheid oder Anklage) oder ob das Verfahren einzustellen ist (s. zum Ermittlungsverfahren allgemein § 385 Rz. 41 ff.).
II. Einleitung des Bußgeldverfahrens (§ 401 Abs. 1 Nr. 6 AO)
1. Einleitungsmaßnahmen
Rz. 53
Die FinB leitet ein Bußgeldverfahren ein, wenn der Verdacht einer Steuerordnungswidrigkeit (einfacher Anfangsverdacht genügt, nicht aber Vermutung, s. § 397 Rz. 5 ff., 25 ff.; § 385 Rz. 124 ff.; § 386 Rz. 54; § 404 Rz. 63 ff.) besteht, und sie deren Verfolgung für erforderlich hält (s. Rz. 29 ff.).
Rz. 54
Für die Einleitung des Bußgeldverfahrens wegen Steuerordnungswidrigkeiten gelten gem. § 410 Abs. 1 Nr. 6 AO die Bestimmungen des § 397 AO entsprechend (wegen der Einzelheiten s. ebenda). Das Bußgeldverfahren wird demgemäß eingeleitet durch jede Maßnahme, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Ordnungswidrigkeit bußgeldrechtlich vorzugehen.
Wie bei der Verfolgung von Straftaten wird ein Ermittlungsverfahren entweder aufgrund einer Anzeige oder von Amts wegen eingeleitet. Anzeigen können auch Behörden erstatten. Im Bereich der Steuerordnungswidrigkeiten wird ein Verfahren vor allem durch die als polizeiliche Sonderbehörden selbst ermittelnden Steufa-Stellen (§§ 404, 410 Abs. 1 Nr. 9 AO) sowie die HZÄ und Zollfahndungsstellen (zu Bargeldkontrollen s. § 397 Rz. 34 ff.; § 404 Rz. 49) eingeleitet. Die Maßnahme ist in den Akten zu vermerken (§ 397 Abs. 2 AO) und dem Betroffenen ist die Einleitung spätestens mitzuteilen, wenn er verdachtsbefangene Unterlagen vorlegen soll (§ 397 Abs. 3 AO). Dabei ist er über seine Rechtsstellung zu belehren (§ 410 Abs. 1 AO, § 46 Abs. 1 OWiG, § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO).
2. Rechtswirkungen der Einleitung
Rz. 55
Die klare Trennung von Bußgeldverfahren und Besteuerungsverfahren durch die Einleitung gem. § 397 AO kommt darin zum Ausdruck, dass die FinB die Befugnis verliert, im Besteuerungsverfahren ihre Anordnungen weiter mit den Zwangsmitteln der §§ 328 ff. AO durchzusetzen (§ 393 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 4 AO; s. Rz. 42). Der Stpfl. wird zum "Betroffenen" mit veränderter Rechtsstellung (s. Rz. 44).
Rz. 56
Die Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens (vgl. § 397 Abs. 3 AO) unterbricht nicht nur die Verfolgungsverjährung (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG; s. Rz. 48), sondern nimmt bei Verfahren wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) der jetzt noch vorgenommenen Selbstanzeige die bußgeldbefreiende Wirkung (§ 378 Abs. 3 AO). Auch eine strafbefreiende Selbstanzeige ist damit ausgeschlossen (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO).
III. Durchführung des Ermittlungsverfahrens
1. Ermittlungstätigkeit von Finanzbehörde und Steuer- und Zollfahndung
Rz. 57
Wie bereits ausgeführt, sind funktionell zuständige Ermittlungsorgane im steuerlichen Bußgeldverfahren die FinB und die Steuer- und Zollfahndung (s. Rz. 4 ff., 27, 41). Die FinB (BuStra) nimmt dabei grds. die Stellung der StA ein (§ 46 Abs. 2 OWiG, zu den Rechten und Befugnissen s. Rz. 27; § 385 Rz. 85 ff., 232 ff.). Aufgrund ihrer Sachkunde und Sachnähe ermitteln die Fahndungsstellen und ihre Beamten (wie die Behörden und Beamten der Polizei gem. § 53 OWiG, ähnlich wie § 163 StPO) aus eigenem Antrieb bei Verdacht einer Steuerordnungswidrigkeit und treffen bei Gefahr im Verzug Maßnahmen der Beweissicherung (sog. Recht des ersten Eingriffs). Nach dem im Ordnungswidrigkeitenrecht herrschenden Opportunitätsprinzip steht die selbständige Aufklärungstätigkeit der Fahndung im Bußgeldverfahren allerdings im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (s. Rz. 30).
Die Behörden/Dienststellen und Beamten der Steuer- und Zollfahndung treffen die ersten unaufschiebbaren Anordnungen, um die Verdunklung der Tat zu verhüten. Die Fahndungsämter und -dienststellen (bzw. einzelne Beamte in deren Auftrag, s. § 404 Rz. 140) dürfen z.B. bei richterlich angeordneten Durchsuchungen die Steuerunterlagen und Geschäftspapiere durchsehen (§ 110 Abs. 1 StPO) oder bei Gefahr im Verzug selbständig Beschlagnahmen oder Durchsuchungen anordnen (vgl. § 399 Abs. 2 Satz 2, § 404 Satz 1 und Satz 2 Halbs. 1 AO i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 9 AO). Nur in Ausnahmefällen brauchen die FinB daher die erforderlichen Ermittlungen durch die Beamten des Polizeidienstes v...