Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Sonderregelungen
Rz. 139
Das OWiG enthält in den §§ 87, 88 OWiG ergänzende Vorschriften für das Verwaltungsverfahren bei der Anordnung von Einziehung von Gegenständen (§§ 22–29 OWiG) und des Wertes von Taterträgen (§ 29a OWiG) und der Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 30 OWiG). Für diese Fälle werden die Befugnisse der Verwaltungsbehörde (FinB) im Einzelnen bestimmt und die Beteiligung der Personen am Bußgeldverfahren geregelt.
2. Einziehung
a) Gegenstände
Rz. 140
Die Bußgeldtatbestände der AO (§§ 378–384a AO) enthalten keine dem § 375 Abs. 2 AO entsprechenden Ermächtigungen für die Einziehung von Gegenständen (vgl. § 22 Abs. 1 OWiG). Somit wird die Einziehung – über die Blankett-Vorschriften der §§ 381, 382 AO – nur auf dem Gebiet der Zoll- und Verbrauchsteuerzuwiderhandlungen (so z.B. § 37 Abs. 3 TabStG; s. § 377 Rz. 277) und bei Verstößen gegen das MOG (§ 36 Abs. 7 MOG) und das AWG (§ 20 AWG) zur Anwendung kommen.
b) Wertersatz
Rz. 140.1
Gemäß § 25 OWiG ist die Einziehung des Wertersatzes möglich, wenn der Täter einen ihm gehörigen Gegenstand, dessen Einziehung hätte angeordnet werden können, zuvor veräußert oder verbraucht oder sonst die Einziehung vereitelt.
c) Wert von Taterträgen (§ 29a OWiG)
Rz. 141
Die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 29a OWiG n.F. ab 1.7.2017; früher "Verfall") kommt dagegen auch bei steuerlichen Ordnungswidrigkeiten in Betracht. Diese gilt jedoch nur für den Fall, dass die Abschöpfung des Vermögensvorteils nicht schon durch die Verhängung einer Geldbuße erfolgt ist (vgl. § 377 Abs. 2 AO i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG). Näheres zu den Voraussetzungen des § 29a OWiG s. § 377 Rz. 140 ff., auch zur Anwendung auf Altfälle.
Da Hinterziehungszinsen i.S.v. § 235 AO nur im Fall einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO anfallen, nicht jedoch bei einer Steuerordnungswidrigkeit, ist die Finanzverwaltung bemüht, über das Institut der Einziehung gem. § 29a OWiG zu einem entsprechenden Ergebnis zu gelangen.
Daneben kommt § 29a OWiG bei steuerlichen Zuwiderhandlungen vor allem bei der Gewinnabschöpfung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht in Unternehmen durch ein Organ i.S.v. § 9 OWiG in Betracht (vgl. § 29a Abs. 2 Nr. 1 OWiG; s. § 377 Rz. 109 ff., 140 ff.). Bereicherter Dritter im Sinne der Norm kann auch eine juristische Person oder eine Personenvereinigung sein. Die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine juristische Person oder eine Personenvereinigung schließt dagegen die Anordnung der Einziehung aus (§ 30 Abs. 5 OWiG).
Die Anordnung der Einziehung steht im Ermessen der BuStra, wobei auch hier das Opportunitätsprinzip gilt. Aufgrund von § 47 OWiG wird § 29a OWiG jedoch lediglich in betragsmäßig erheblichen Fällen Anwendung finden.
d) Verfahren
Rz. 142
Zuständig für die Anordnung der Einziehung ist die BuStra (vgl. Nr. 90 und Nr. 109 Abs. 3 AStBV (St) 2020 [s. AStBV Rz. 90, 109] betr. die selbständige Anordnung der Einziehung gem. § 29a Abs. 5 OWiG).
Rz. 142.1
Für die Einziehung im Bußgeldverfahren gelten vorbehaltlich § 87 OWiG die Vorschriften der StPO über das Einziehungsverfahren (§§ 424 ff. StPO) entsprechend (s. § 375 Rz. 103 ff.; § 401 Rz. 37 ff.). Hat die FinB (HZA) im Bußgeldverfahren über die Einziehung eines Gegenstands zu entscheiden, ist sie (es) gem. § 87 Abs. 1 OWiG auch anstelle des Gerichts dazu befugt, eine Verfahrensbeteiligung anzuordnen (§ 424 StPO), einen Verteidiger zu bestellen (§ 428 Abs. 2 StPO) und über eine evtl. Entschädigung zu befinden (§ 430 Abs. 3 StPO).
Rz. 142.2
Entscheidet die FinB im Bußgeldverfahren über Nebenfolgen, bleibt sie zuständig, die davon Betroffenen am Verfahren zu beteiligen und ihnen bei notwendiger Verteidigung einen Rechtsanwalt beizuordnen. Das gilt für die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 410 Abs. 1 AO, § 29a OWiG), die Einziehung im selbständigen Verfahren (§ 410 Abs. 1 AO, § 87 OWiG) und vor allem für eine Geldbuße gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung (sog. Verbandsgeldbuße) im Verfahren gegen das Organ (§ 410 Abs. 1 AO, §§ 88, 30 OWiG).
Der Einziehungsbeteiligte hat die Befugnisse des Betroffenen.
Rz. 142.3
Das bei Ordnungswidrigkeiten auch mögliche selbständige oder objektive Einziehungsverfahren (zu den Voraussetzungen vgl. § 27 OWiG) richtet sich nach § 87 Abs. 3 OWiG. Die zuständige FinB (HZA) ordnet die Einziehung in einem selbständigen Einziehungsbescheid an, der wie ein Bußgeldbescheid zu behandeln ist.
Rz. 142.4
Das Nachverfahren (§ 433 StPO) ist bei der FinB (HZA) zu beantragen, die die Einziehung angeordnet hat. Die Entscheidung hierüber trifft das gem. § 68 OWiG, § 391 AO zuständige AG (§ 87 Abs. 4 OWiG). Die Entscheidung des Gerichts über die Einziehung eines Gegenstandes ist – entsprechend der Rechtsmittelbeschränkung beim Bußgeldbescheid – nicht anfechtbar, wenn der Wert 250 EUR nicht übersteigt ...