Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 2
Festzuhalten ist, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, in die AO ein eigenständiges Verfahren zur Verfolgung und Ahndung von Steuerordnungswidrigkeiten einzufügen. Die einschlägigen §§ 409–412 AO enthalten nur wenige Sonderregelungen für das Bußgeldverfahren bei Steuerordnungswidrigkeiten, im Übrigen die Generalverweisungsnorm des § 410 AO. Nach dieser Vorschrift sind auf das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten die verfahrensrechtlichen Vorschriften des OWiG (§§ 35–110 OWiG) entsprechend anzuwenden. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass auch das OWiG keine erschöpfende Kodifikation des Bußgeldverfahrens enthält. Nach § 46 Abs. 1 OWiG gelten nämlich für das Bußgeldverfahren "sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes".
Rz. 2.1
Daneben verweist § 410 AO auf zahlreiche Sonderbestimmungen der AO über das Strafverfahren in Steuerstrafsachen. Diese Verweisung entspricht der Doppelfunktion der FinB als Bußgeldbehörden und als Verfolgungsbehörden in Steuerstrafverfahren.
Rz. 2.2
Für das Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten gelten bundesweit einheitlich die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (hier insb. Nr. 7, 100–112 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 7, 100 ff.). Zum Regelungsgehalt dieser Anweisungen s. Näheres vor § 385 Rz. 25 ff. Die StA schließlich hat die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) zu beachten.
Rz. 2.3
§ 410 AO findet unmittelbare Anwendung auf Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. § 377 Abs. 1 AO (s. die Auflistung in § 377 Rz. 11 ff.). Steuerordnungswidrigkeiten (Zollordnungswidrigkeiten) werden in § 377 Abs. 1 AO definiert als "Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze, die mit Geldbuße geahndet werden". Damit verweist die Vorschrift vor allem auf die §§ 378–384a AO, in denen die abgabenrechtlichen Bußgeldtatbestände normiert sind; dazu zählen weiter z.B. § 26a UStG (Nichtzahlung der Umsatzsteuer, s. § 377 Rz. 281 ff., 292 ff.; früherer § 26b UStG weggefallen und modifiziert in die Bußgeldvorschrift des § 26a Abs. 1 UStG eingefügt zum 1.7.2021) sowie Ordnungswidrigkeiten nach §§ 50e, 50f und 39 Abs. 9, § 41b Abs. 2, 2a, § 96 Abs. 7 EStG (s. § 370 Rz. 1271, 1323; § 377 Rz. 254 ff., 258 ff., 249 ff., 252 f.).
Rz. 2.4
Der neue Bußgeldtatbestand des § 384a AO enthält eine eigene Regelung zur Anwendbarkeit des Ordnungswidrigkeitenrechts: Gemäß § 384a Abs. 2 AO sind über den Verweis auf § 41 BDSG die materiell-rechtlichen Bestimmungen des 1. Teils des OWiG insgesamt auf Verstöße nach Art. 83 Abs. 4–6 DSGVO anwendbar (s. § 384a Rz. 17 ff.).
Nach § 41 Abs. 2 BDSG n.F. gelten für das Bußgeldverfahren als solches die Vorschriften des OWiG mit Ausnahme der §§ 56–58 OWiG (Verwarnung), § 87 OWiG (Einziehung), § 99 OWiG (Vollstreckung) und § 100 OWiG (s. § 384a Rz. 21).
Bezüglich der Verfolgungsverjährung gilt § 31 OWiG (drei Jahre, s. Rz. 48.1).
Rz. 2.5
Kraft gesetzlicher Verweisung gelten die Verfahrensbestimmungen entsprechend für Ordnungswidrigkeiten nach den Prämien- und Zulagengesetzen (vgl. § 5a Abs. 2 Satz 2 BergPG, § 14 Abs. 3 Satz 2 des 5. VermBG, § 8 Abs. 2 Satz 2 WoPG, § 13 Satz 2 FZulG und § 108 Satz 2 EStG [Mobilitätsprämie]) sowie für Ordnungswidrigkeiten von Steuerberatern nach dem StBerG (§§ 160–163 StBerG, s. näher § 377 Rz. 204 ff.) und dem GwG (§ 56 GwG, s. § 377 Rz. 298 ff.). Siehe auch Nr. 106, 107 AStBV (St) 2020 (s. AStBV Rz. 106 f.).
Rz. 2.6
Keine eigentliche Steuerordnungswidrigkeit stellt § 130 OWiG (Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen) dar; diese Vorschrift kann jedoch als Auffangtatbestand bei Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze in Betracht kommen, für die dann auch die FinB sachlich zuständig ist (§ 131 Abs. 3, § 36 Abs. 1, §§ 409, 387 OWiG; s. auch § 377 Rz. 171 ff.). In diesem Bereich können sich auch Tax-Compliance-Management-Systeme auf die Verfolgung auswirken.
Rz. 2.7
In der Praxis werden eher selten Einsprüche gegen Bußgeldbescheide der FinB eingelegt. Das liegt vor allem auch an der Möglichkeit der Verständigung, die im Ermittlungsverfahren vielfach genutzt wird (s. § 385 Rz. 1233 ff.; § 410 Rz. 68).
Rz. 2.8
Im Einzelfall ist im Bußgeldverfahren bei der Heranziehung von Verfahrensvorschriften folgende Reihenfolge einzuhalten:
|
1. Anzusetzen ist bei den Sondervorschriften der §§ 409–412 AO . |