Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Ermittlungstätigkeit von Finanzbehörde und Steuer- und Zollfahndung
Rz. 57
Wie bereits ausgeführt, sind funktionell zuständige Ermittlungsorgane im steuerlichen Bußgeldverfahren die FinB und die Steuer- und Zollfahndung (s. Rz. 4 ff., 27, 41). Die FinB (BuStra) nimmt dabei grds. die Stellung der StA ein (§ 46 Abs. 2 OWiG, zu den Rechten und Befugnissen s. Rz. 27; § 385 Rz. 85 ff., 232 ff.). Aufgrund ihrer Sachkunde und Sachnähe ermitteln die Fahndungsstellen und ihre Beamten (wie die Behörden und Beamten der Polizei gem. § 53 OWiG, ähnlich wie § 163 StPO) aus eigenem Antrieb bei Verdacht einer Steuerordnungswidrigkeit und treffen bei Gefahr im Verzug Maßnahmen der Beweissicherung (sog. Recht des ersten Eingriffs). Nach dem im Ordnungswidrigkeitenrecht herrschenden Opportunitätsprinzip steht die selbständige Aufklärungstätigkeit der Fahndung im Bußgeldverfahren allerdings im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (s. Rz. 30).
Die Behörden/Dienststellen und Beamten der Steuer- und Zollfahndung treffen die ersten unaufschiebbaren Anordnungen, um die Verdunklung der Tat zu verhüten. Die Fahndungsämter und -dienststellen (bzw. einzelne Beamte in deren Auftrag, s. § 404 Rz. 140) dürfen z.B. bei richterlich angeordneten Durchsuchungen die Steuerunterlagen und Geschäftspapiere durchsehen (§ 110 Abs. 1 StPO) oder bei Gefahr im Verzug selbständig Beschlagnahmen oder Durchsuchungen anordnen (vgl. § 399 Abs. 2 Satz 2, § 404 Satz 1 und Satz 2 Halbs. 1 AO i.V.m. § 410 Abs. 1 Nr. 9 AO). Nur in Ausnahmefällen brauchen die FinB daher die erforderlichen Ermittlungen durch die Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen (vgl. § 161 StPO i.V.m. § 46 Abs. 2 OWiG).
Rz. 58
Alle Maßnahmen der FinB, die unmittelbar in die Rechtsstellung von Personen eingreifen (z.B. Beschlagnahme, Einziehung, Ablehnung eines Verteidigers), müssen den davon Betroffenen (formlos) bekannt gegeben werden (§ 50 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Für das gerichtliche Verfahren folgt diese Pflicht aus § 35 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.
Wird durch die Bekanntgabe allerdings eine Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt (wie z.B. beim Bußgeldbescheid, § 87 OWiG, bei Kostenentscheidungen, § 108 Abs. 1 OWiG oder bei der nachträglichen Einziehungsanordnung, § 100 Abs. 2 OWiG), so erfolgt die Zustellung des Bescheids förmlich mit Rechtsmittelbelehrung (§ 50 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 OWiG). Auf die Darstellung s. § 412 Rz. 2 ff. wird verwiesen. Zu den Möglichkeiten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand s. Rz. 84.
Rz. 59
Liegt die Ermittlungstätigkeit bei den FinB (s. Rz. 4, 26), so dürfen diese auch bei der Verfolgung von Steuerordnungswidrigkeiten von allen Behörden in den Grenzen der Geheimhaltungsvorschriften Auskünfte verlangen (§ 161 StPO; zum internationalen Auskunftsverkehr s. § 399 Rz. 700 ff.).
Der Amtsrichter hat als Ermittlungsrichter den Anträgen der FinB auf Vornahme einer richterlichen Untersuchungshandlung Folge zu leisten (§ 162 StPO i.V.m. § 46 Abs. 2 OWiG).
Beispiel
Die FinB ermittelt gegen den Unternehmer U wegen des Verdachts der leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO). Sie hält eine Überführung des U nur aufgrund der Aussage des Angestellten A für möglich und beantragt daher beim AG die Vernehmung des A als Zeugen. Diesem Ersuchen muss der Ermittlungsrichter nachkommen.
Führen die Fahndungsstellen die ersten Ermittlungen, so sind sie nach deren Abschluss im Interesse eines beschleunigten Fortgangs des Verfahrens verpflichtet, die Ermittlungsakten unverzüglich der BuStra zu übersenden (§ 53 Abs. 1 Satz 3 OWiG, § 163 Abs. 2 Satz 1 StPO).
2. Anhörung des Betroffenen und dessen Verteidigung
Rz. 60
Im Bußgeldverfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten ist eine förmliche Vernehmung des Betroffenen nicht zwingend vorgeschrieben. Doch folgt aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (s. § 385 Rz. 147), dass dem Betroffenen vor Erlass eines Bußgeldbescheids Gelegenheit gegeben werden muss, sich zu der Beschuldigung zu äußern (§ 55 Abs. 1 OWiG, § 163a Abs. 1 StPO). Eine Anhörung ist dagegen nicht erforderlich, wenn das Verfahren eingestellt wird oder ein Verwarnungsgeld erhoben wird (insoweit reicht das Einverständnis des Betroffenen aus). Eine besondere Form der Anhörung ist nicht vorgeschrieben. Die Äußerung darf sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgen. Im Regelfall werden die Verfolgungsbehörden allerdings auf eine protokollarische Vernehmung des Betroffenen nicht verzichten können, da nur so der Sachverhalt einer Steuerordnungswidrigkeit aufgeklärt werden kann (vgl. § 168b Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1, 2 OWiG). Grundsätzlich zur Vernehmung s. § 385 Rz. 195 ff., 668 ff.
Rz. 61
Wird der Betroffene von der Verfolgungsbehörde vernommen, so ist ihm gem. § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 3 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG zu Beginn mitzuteilen, welcher Ordnungswidrigkeit er verdächtigt wird. Ebenso wie im Strafverfahren ist er über sein Schweigerecht zu belehren, nicht ...