Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
1. Anwendung der Verfahrensvereinfachungen des OWiG
Rz. 131
Werden in einem gerichtlichen Verfahren gleichzeitig Steuerordnungswidrigkeiten und Steuervergehen oder andere Straftaten verfolgt (vgl. § 42 OWiG), gelten für das Verfahren wegen der Ordnungswidrigkeiten grds. auch die Vorschriften der StPO. Für die Taten, die als reine Ordnungswidrigkeiten verfolgt werden, gelten jedoch die vereinfachten Verfahrensvorschriften des OWiG (§ 83 Abs. 1 OWiG ). Verfahrensvorschriften in diesem Sinne sind
- § 46 Abs. 3, 4 OWiG (s. Rz. 36, 37),
- §§ 47–49 OWiG (s. Rz. 28 ff., 38, 39),
- § 55 OWiG (s. Rz. 59),
- §§ 76–78 OWiG (s. Rz. 108, 110, 113),
- § 79 Abs. 1–3 OWiG (s. Rz. 116 ff.)
- sowie § 80 OWiG (s. Rz. 121).
Diese Normen sind nur dann heranzuziehen, wenn das Verfahren mehrere Taten im prozessualen Sinne zum Gegenstand hat und mindestens eine davon als Steuerordnungswidrigkeit verfolgt wird. Diese Steuerordnungswidrigkeit muss vom übrigen Verfahren abtrennbar sein, d.h. sie müsste auch in einem gesonderten Bußgeldverfahren verfolgt werden können.
Wie es zu dieser Verfahrenssituation kommen kann, zeigen die folgenden Beispiele.
Beispiel
Die FinB hat gegen K wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und der Gefährdung der Abzugsteuern (§ 380 AO) ermittelt und bejaht in beiden Fällen den hinreichenden Tatverdacht. Wegen des Umfangs der Steuerhinterziehung und der schwierigen Beweisfragen hält sie ein Strafbefehlsverfahren nicht für geeignet und gibt das Verfahren an die StA ab (§ 386 Abs. 4 Satz 1 AO). Die StA erhebt wegen der Steuerhinterziehung Anklage und erstreckt diese auf die mit der Straftat zusammenhängende Steuerordnungswidrigkeit (vgl. § 42 Abs. 1 AO, § 64 OWiG; s. Rz. 11).
Beispiel
Gegen H ist ein Bußgeldbescheid wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) ergangen. H hat dagegen fristgerecht Einspruch eingelegt. Im gerichtlichen Bußgeldverfahren erfolgt gem. § 81 Abs. 1 Satz 2 OWiG der Hinweis, dass die eine Tat nicht nur als leichtfertige Steuerverkürzung, sondern evtl. auch als vorsätzliche Steuerhinterziehung geahndet werden kann. Hinsichtlich dieser Tat ist das Bußgeldverfahren in das Strafverfahren übergegangen.
Beispiel
L ist vor der Strafkammer des LG wegen Betrugs (§ 263 StGB) und Steuerhinterziehung (§ 370 AO) angeklagt. Das Gericht hat die Anklage zugelassen, hält aber im Laufe der Hauptverhandlung nur noch die Tatbestände des Betrugs und der leichtfertigen Steuerverkürzung gem. § 378 AO für gegeben (Übergang des Strafverfahrens hinsichtlich einer Tat in das Bußgeldverfahren).
2. Rechtsmittel
Rz. 132
Will der Angeklagte die im "gemischten" Verfahren des § 83 Abs. 1 OWiG ergangene gerichtliche Entscheidung anfechten, ist Folgendes zu beachten:
Soweit das Urteil Straftaten betrifft, gelten die Rechtsmittelvorschriften der StPO. Werden mit dem Urteil gleichzeitig Steuerordnungswidrigkeiten geahndet und greift es der Verurteilte neben der Berufung mit der Rechtsbeschwerde an, so wird die statthafte Rechtsbeschwerde, solange die Berufung nicht zurückgenommen oder als unzulässig verworfen worden ist, als Berufung behandelt (§ 83 Abs. 2 Satz 1 OWiG). Ähnlich wie in § 335 Abs. 3 StPO wird mit dieser Gleichschaltung verhindert, dass im weiteren Verfahren nunmehr verschiedene Rechtsmittelgerichte zuständig werden. Im Gegensatz zu den Regelfällen einer Rechtsbeschwerde wird die Verurteilung wegen der Steuerordnungswidrigkeit nunmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachgeprüft. Auch bedarf es in Bagatellfällen nicht einer gesonderten Zulassung nach § 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 OWiG durch das Beschwerdegericht (§ 83 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 OWiG).
Trotz der Gleichstellung mit der Berufung gelten aber hinsichtlich der Form und der Begründung für die Rechtsbeschwerde die Vorschriften über die Revision (§§ 344–347 StPO; § 83 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 OWiG). Gegen das Berufungsurteil ist die Rechtsbeschwerde in den Grenzen der § 79 Abs. 1 und 2, § 80 OWiG zulässig. Hebt das Beschwerdegericht das Urteil auf, soweit es nur Steuerordnungswidrigkeiten betrifft, kann es in der Sache selbst entscheiden (vgl. § 83 Abs. 3 OWiG).