Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Rz. 1
§ 448 RAO a.F. sah eine besondere, auf eine bestimmte Berufsgruppe beschränkte Verfahrensvoraussetzung für das Bußgeldverfahren der FinB vor. Die Vorschrift war rechtspolitisch stark umstritten. Nach ihr durfte gegen einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer ein Bußgeldbescheid wegen einer Steuerordnungswidrigkeit, die der Betroffene in Ausübung seines Berufs bei der Beratung in Steuersachen begangen hatte, nur erlassen werden, wenn zuvor wegen dieser Handlung gegen ihn eine ehrengerichtliche oder berufsgerichtliche Maßnahme verhängt oder ihm durch den Vorstand der Berufskammer eine Rüge erteilt worden war.
Soweit sich das Schrifttum kritisch mit diesem Vorschaltverfahren auseinandersetzte, hatte es mit Recht die neue Regelung abgelehnt. Es war in der Tat höchst fragwürdig, den Anspruch des Staates auf Ahndung einer Steuerordnungswidrigkeit von der Entscheidung eines Ehren- bzw. Berufsgerichts oder einer Berufskammer abhängig zu machen. Zudem lag auf der Hand, dass das Vorschaltverfahren gem. § 448 AO das Bußgeldverfahren erheblich verzögern konnte. Der Gesetzgeber hat sich diesen Bedenken im Ergebnis angeschlossen. Die Neufassung des § 411 AO 1977 verzichtet auf eine Verfahrensvoraussetzung, wie sie § 448 RAO a.F. vorschrieb, und erklärt es für ausreichend, dass der zuständigen Berufskammer die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird.
Rz. 2
Die vorgeschriebene Anhörung soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zweck dienen, den Sachverstand der Berufskammer für das Bußgeldverfahren nutzbar zu machen. Vor allem bei der oft schwierigen Abgrenzung zwischen strafbarer und leichtfertiger Steuerverkürzung wird zumeist nur vor dem Hintergrund der einzelnen Berufspflichten eine sachgemäße Beurteilung des Verhaltens des Beraters möglich sein.
Die Kritik an Sinn und Zweck der Regelung ist auch nach der Neuregelung, durch die die Beteiligung der Standesorganisationen reduziert wurde, nicht verstummt. Die jetzige, nicht ganz eindeutige Gesetzesfassung kann sich – je nach Sachlage im Einzelfall – als "Privilegierung" der Berufsangehörigen gegenüber dem allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrecht (da die Kammer Gelegenheit hat, entlastende Gesichtspunkte vorzutragen) oder "negative Privilegierung", will heißen, Benachteiligung der rechtsberatenden Berufsgruppen, auswirken, die bei drohendem Bußgeldbescheid mit einer Benachrichtigung ihrer Berufsorganisation (und entsprechenden standesrechtlichen Maßnahmen wie z.B. Widerruf der Bestellung) rechnen müssen, was ansonsten nur bei Strafsachen vorgesehen ist. Bilsdorfer hält sie für missverständlich und bedenklich und schlägt eine Alternativfassung vor. Nach Heinrich ist sie ideologisch begründet, sachlich nicht gerechtfertigt und in der Praxis wertlos. Die mit dem StBerG verfolgte Intention, die Unabhängigkeit des Steuerberaters gegenüber FinB sicherzustellen, habe diese Bestimmung zu einem nicht unerheblichen Teil wieder beseitigt.
Zutreffender Ansicht nach entfaltet die Vorschrift Schutzwirkung gegenüber den Berufsangehörigen (s. Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 3
Der Anwendungsbereich des § 411 AO beschränkt sich auf den Erlass des "Bußgeldbescheides", d.h. nur auf das finanzbehördliche Bußgeldverfahren, wenn eine Geldbuße verhängt werden soll, nicht aber, wenn die FinB das Verfahren einstellt oder wegen Überleitung vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren nicht mehr zuständig ist. Eine Anhörung der Standesvertretung findet deshalb nicht statt im staatsanwaltschaftlichen oder gerichtlichen Bußgeldverfahren (§§ 45, 82 OWiG).
Der weiter gefasste Begriff der "Bußgeldentscheidungen" i.S.d. § 89 OWiG, unter den auch selbständige Einziehungsbescheide oder Bußgeldbescheide gegen juristische Personen sowie Beschlüsse nach § 72 OWiG und Urteile oder Strafbefehle mit Geldbußefestsetzung zählen, gilt deshalb nicht.