Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Anhörung durch die Finanzbehörde
Rz. 7
Die FinB informiert die jeweils "zuständige Berufskammer". Hierzu zählen die regionale Rechtsanwaltskammer (§ 60 BRAO), die regionale Steuerberaterkammer (§ 73 StBerG) und die Wirtschaftsprüferkammer (§ 57 WPO).
Nach dem Wortlaut des § 411 AO beschränkt sich die Anhörung der Berufskammer darauf, dass dieser "Gelegenheit" zur Stellungnahme gegeben wird. Die FinB leitet der Berufskammer dabei die vollständigen Akten zu (im Original oder in Kopie) mit einem Abschlussbericht und dem Hinweis, dass der Erlass eines Bußgeldbescheids beabsichtigt sei (vgl. Nr. 115, 89 Abs. 2 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 115, 89). Die Weitergabe der Bußgeldakten verstößt in diesem Fall nicht gegen das Steuergeheimnis, sondern sie ist durch die Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 und 2 AO i.V.m. § 411 AO gedeckt. Die Berufskammer hat ein Einsichtsrecht in die Bußgeldakten, nicht aber in den Schriftverkehr mit dem Mandanten oder solche Vorgänge, die nicht in Zusammenhang mit der Beratungstätigkeit stehen. Nicht mit dem Bußgeldverfahren in Verbindung stehende Informationen sind von der vorlegenden FinB zu entfernen.
Rz. 8
Umstritten ist, ob die FinB verpflichtet ist, die berufsständischen Vertretungen zu beteiligen. Der Wortlaut des § 411 AO ("gibt die Finanzbehörde") ist nicht ganz eindeutig. Nach Verwaltungsauffassung besteht eine Vorlagepflicht (vgl. Nr. 115 Abs. 3 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 115). Oft, wenn nicht sogar überwiegend, wird der Betroffene aber gar kein Interesse an der Einschaltung der Berufsorganisation haben, etwa wenn er dem Tatvorwurf nichts entgegenzusetzen hat und geständig ist und er sodann weniger den Erlass des Bußgeldbescheids als vielmehr die Verständigung seiner Standesorganisation und entsprechende berufsrechtliche Sanktionen fürchtet. Die Annahme einer generellen Informationspflicht stünde dann im Widerspruch zu dem gemeinhin als "Privilegierung" der Berufsangehörigen verstandenen Schutzzweck der Vorschrift (s. Rz. 2). Deshalb kann nach überwiegender Ansicht die FinB von einer Einschaltung der Berufskammer absehen, wenn der Betroffene dies beantragt, also darauf verzichtet.
Es bleibt somit Raum für eine einvernehmliche Verfahrenserledigung mit der FinB, etwa durch Übernahme eines erhöhten Bußgeldes. Nicht korrekt wäre aber – so die gelegentliche Praxis der BuStra – die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gem. § 153a StPO gegen Zahlung einer Geldauflage bei eindeutig leichtfertigem Verhalten des Beraters, da diese Möglichkeit nur im Strafverfahren, nicht aber im Bußgeldverfahren besteht. Bei nicht ganz zweifelsfreiem Verschuldensgrad mag dies allerdings für den Betroffenen ein gangbarer Weg sein.
II. Stellungnahme der Berufskammer
Rz. 9
Ob die Berufskammer von ihrer Möglichkeit zur Stellungnahme Gebrauch macht, ist in ihr Ermessen gestellt. Innerhalb der ihr gesetzten Frist (meistens zwei Monate; vergleichbar § 191 Abs. 2 AO) kann sich die Kammer zu allen ihr wichtig erscheinenden Gesichtspunkten (z.B. materiellen oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, Höhe der Geldbuße) äußern. Steuerordnungswidriges und standeswidriges Verhalten sind dabei nicht unbedingt deckungsgleich, d.h. selbst im Vorfeld von Steuerordnungswidrigkeiten liegendes Verhalten kann berufsrechtliche Sanktionen auslösen.
Die FinB ist bei ihrer abschließenden Entscheidung nicht an die Auffassung oder Einwendungen der Kammer gebunden. Sie braucht daher nicht mehr (wie nach früherem Recht, s. Rz. 1) den Ausgang eines ehren- oder berufsgerichtlichen Verfahrens abzuwarten. Nach der Verwaltungsauffassung (vgl. Nr. 115 Abs. 2 Satz 2 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 115) besteht aber eine Pflicht zur Berücksichtigung der Stellungnahme bei der Entscheidung über den Bußgeldbescheid.
Die Kammer kann aber auch von einer Stellungnahme absehen; äußert sich nicht, hindert das nicht Erlass des Bußgeldbescheides (Nr. 115 Abs. 2 Satz 3 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 115).