Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
Schrifttum:
Bilsdorfer, § 411 AO – eine "Muss"-, eine "Soll"- oder eine "Kann"-Vorschrift?, DStR 1983, 26; Bilsdorfer, Die steuerstraf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des steuerlichen Beraters, NWB 1993, Fach 13, 829, NWB 2004, Fach 13, 1055; Bock, Die Reform des Steuerstrafrechts, DB 1968, 911; Carl/Klos, Neue Zuständigkeit der Bußgeld- und Strafsachenstellen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach dem Geldwäschegesetz, StW 1995, 66; Engelke, Welche Aufgaben die Kammern haben, AnwBl. 2006, 638; Heerspink, Geldwäsche in der Beratung, AO-StB 2003, 415; Heinrich, Die bußgeldrechtliche Verantwortung des steuerlichen Beraters, StB 1979, 250; Hellwig, Europäische und deutsche Anwaltsgesellschaften – Neues aus dem Unionsrecht, AnwBl. 2016, 201; Kindshofer, Informationsaustausch durch die Finanzbehörden, PStR 2005, 166; Kutzner, Strafrechtliche Relevanz steuerberatender Tätigkeit, NWB 2005, 623; Lohmeyer, Verfahrensrechtliche Besonderheiten vor Erlass eines Bußgeldbescheides gegen einen Angehörigen der rechtsberatenden und steuerberatenden Berufe, RWP 1983 (1109) SG 2.5, 45; Lohmeyer (H.L.), Zweck und Anwendungsbereich des § 411 AO, DB 1988, 1039; Mösbauer, Verdacht einer Steuerordnungswidrigkeit während einer steuerlichen Außenprüfung, StBp 2004, 229; Podewils/Hellinger, Strafrechtliche Risiken für steuerliche Berater, DSZ 2013, 662; Römermann, Bald zahnlose Tiger – Anwaltskammern in Bedrängnis, Anwalt – Das Magazin 2003, 12; Schulte, Der Aufgabenbereich der Steuerberaterkammern, 1987; Stegmaier, Die beratenden Berufe im Bußgeldverfahren, StB 1970, 212; Weberstaedt, Freiberufler-Monopole im Binnenmarkt: EuGH will keine Marktabschottung, AnwBl. 2016, 208; Weyand, Anhörungs- und Mitteilungspflichten der Finanzbehörde bei berufswidrigem Verhalten steuerlicher Berater, INF StW 1990, 241; Wegner, Berufsrechtliche Risiken nach Strafurteil, PStR 2015, 214. Siehe ferner die Schrifttumsnachweise vor Rz. 12 und 13.
Ergänzender Hinweis: Nr. 115, Nr. 89 Abs. 2 AStBV (St) 2023/2024; s. AStBV Rz. 115, 89.
A. Entstehungsgeschichte, Zweck, Bedeutung und Anwendungsbereich
Rz. 1
§ 448 RAO a.F. sah eine besondere, auf eine bestimmte Berufsgruppe beschränkte Verfahrensvoraussetzung für das Bußgeldverfahren der FinB vor. Die Vorschrift war rechtspolitisch stark umstritten. Nach ihr durfte gegen einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer ein Bußgeldbescheid wegen einer Steuerordnungswidrigkeit, die der Betroffene in Ausübung seines Berufs bei der Beratung in Steuersachen begangen hatte, nur erlassen werden, wenn zuvor wegen dieser Handlung gegen ihn eine ehrengerichtliche oder berufsgerichtliche Maßnahme verhängt oder ihm durch den Vorstand der Berufskammer eine Rüge erteilt worden war.
Soweit sich das Schrifttum kritisch mit diesem Vorschaltverfahren auseinandersetzte, hatte es mit Recht die neue Regelung abgelehnt. Es war in der Tat höchst fragwürdig, den Anspruch des Staates auf Ahndung einer Steuerordnungswidrigkeit von der Entscheidung eines Ehren- bzw. Berufsgerichts oder einer Berufskammer abhängig zu machen. Zudem lag auf der Hand, dass das Vorschaltverfahren gem. § 448 AO das Bußgeldverfahren erheblich verzögern konnte. Der Gesetzgeber hat sich diesen Bedenken im Ergebnis angeschlossen. Die Neufassung des § 411 AO 1977 verzichtet auf eine Verfahrensvoraussetzung, wie sie § 448 RAO a.F. vorschrieb, und erklärt es für ausreichend, dass der zuständigen Berufskammer die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird.
Rz. 2
Die vorgeschriebene Anhörung soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem Zweck dienen, den Sachverstand der Berufskammer für das Bußgeldverfahren nutzbar zu machen. Vor allem bei der oft schwierigen Abgrenzung zwischen strafbarer und leichtfertiger Steuerverkürzung wird zumeist nur vor dem Hintergrund der einzelnen Berufspflichten eine sachgemäße Beurteilung des Verhaltens des Beraters möglich sein.
Die Kritik an Sinn und Zweck der Regelung ist auch nach der Neuregelung, durch die die Beteiligung der Standesorganisationen reduziert wurde, nicht verstummt. Die jetzige, nicht ganz eindeutige Gesetzesfassung kann sich – je nach Sachlage im Einzelfall – als "Privilegierung" der Berufsangehörigen gegenüber dem allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrecht (da die Kammer Gelegenheit hat, entlastende Gesichtspunkte vorzutragen) oder "negative Privilegierung", will heißen, Benachteiligung der rechtsberatenden Berufsgruppen, auswirken, die bei drohendem Bußgeldbescheid mit einer Benachrichtigung ihrer Berufsorganisation (und entsprechenden standesrechtlichen Maßnahmen wie z.B. Widerruf der Bestellung) rechnen müssen, was ansonsten nur bei Strafsachen vorgesehen ist. Bilsdorfer hält sie für missverständlich und bedenklich und schlägt eine Alternativfassung vor. Nach Heinrich ist sie ideologisch begründet, sachlich nicht gerechtfertigt und in der Praxis wertlos. Die mit dem StBerG verfolgte Intention, die Unabhängigkeit des Steuerberaters gegenüber FinB sicherzustellen, habe diese Bes...