Dr. Brigitte Hilgers-Klautzsch
I. Allgemeines
Rz. 6
Das Vollstreckungsverfahren dient der Durchsetzung der in den Bußgeldentscheidungen angeordneten Rechtsfolgen, d.h. der Geldbußen, evtl. Nebenfolgen und Kosten des Verfahrens (vgl. §§ 89, 90 Abs. 1, § 108 Abs. 2 OWiG). Vollstreckbar sind alle Bußgeldentscheidungen, also nicht nur die Bußgeldbescheide der FinB, sondern auch die Urteile oder Beschlüsse des AG i.S.d. § 72 OWiG im Bußgeldverfahren sowie die Strafbefehle und Urteile im Strafverfahren, soweit sich diese auf Steuerordnungswidrigkeiten erstrecken.
Eine Bußgeldentscheidung darf nach § 89 OWiG nur vollstreckt werden, wenn sie (formell) rechtskräftig, d.h. unanfechtbar ist (vgl. Abschn. 22 Abs. 1 Satz 2 VollstrA). Wie bei § 410 Rz. 80.1, 133 dargelegt, ist das dann der Fall, wenn die Entscheidung entweder überhaupt nicht anfechtbar ist oder der Betroffene die Rechtsmittelfrist verstreichen lässt. Die Einlegung eines Rechtbehelfs/Rechtsmittels hindert also unmittelbar die Vollstreckung.
Beispiel
Gegen den Steuerbevollmächtigten T ist nach Durchführung des Verfahrens gem. § 411 AO von der FinB ein Bußgeldbescheid über 100 EUR wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) ergangen. Ts Einspruch blieb erfolglos. Das AG entschied im schriftlichen Verfahren durch Beschluss (§ 72 OWiG). Da wegen der Höhe der Geldbuße die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss nicht zulässig ist (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG: Beschwerdewert von mehr als 250 EUR) und eine Zulassung der Rechtsbeschwerde in diesem Fall ebenfalls nicht möglich ist (vgl. § 79 Abs. 1 Satz 2, § 80 OWiG, s. § 410 Rz. 121), wird der Bußgeldbescheid sofort rechtskräftig.
Rz. 7
Unzulässig ist die Vollstreckung von Geldbußen und Nebenfolgen, wenn Verjährung eingetreten ist (§ 34 Abs. 1 und 5 OWiG, s. § 410 Rz. 51). Die Vollstreckung verjährt in drei Jahren bei Geldbußen bis zu (nunmehr) 1.000 EUR bzw. fünf Jahren bei Geldbußen von mehr als 1.000 EUR (§ 34 Abs. 2 Nr. 1 und 2 OWiG). Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem die Bußgeldentscheidung rechtskräftig geworden ist. Die Verjährung ruht, solange die Vollstreckung nicht begonnen oder fortgesetzt werden kann, sie ausgesetzt ist oder eine Zahlungserleichterung bewilligt ist (§ 34 Abs. 4 Nr. 1–3 OWiG).
II. Sonderregelung des § 412 Abs. 2 AO
Rz. 8
Die Vollstreckung von Bescheiden im Bußgeldverfahren richtet sich im Allgemeinen bei Bundesbehörden nach den Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes, bei Landesbehörden nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften (vgl. § 90 Abs. 1 und 4 OWiG betr. Geldbußen und Ordnungsgelder, § 108 Abs. 2 OWiG betr. Kosten). Nach der Ausnahmeregelung des § 412 Abs. 2 AO finden dagegen auf die Vollstreckung finanzbehördlicher Bußgeldbescheide in jedem Fall die Vollstreckungsvorschriften der AO (§§ 249–346 AO) Anwendung (§ 412 Abs. 2 Satz 1 AO), um die Vollstreckung von Verwaltungsakten und Bußgeldentscheidungen durch Bundes- oder Landes-FinB einheitlich zu regeln.
III. Zuständigkeit und Verfahren nach dem OWiG
1. Vollstreckungsbehörde
Rz. 9
Im Übrigen gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 89–104 OWiG über die Voraussetzungen, Zuständigkeit und das Verfahren bei der Vollstreckung (§ 412 Abs. 2 Satz 2 AO). Vollstreckungsbehörde im Verfahren wegen Steuerordnungswidrigkeiten ist danach die FinB, die den Bußgeldbescheid erlassen hat (§ 92 OWiG). Das ist grds. die Straf- und Bußgeldsachenstelle (vgl. auch Nr. 121 Abs. 2 Satz 1 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 121), nicht aber die Vollstreckungsstelle, die für die Beitreibung der Geldbußen und Kosten zuständig ist (Vollstreckungsbehörde i.S.d. §§ 249 ff. AO; vgl. Nr. 121 Abs. 2 Satz 2 AStBV (St) 2020). Die vorherige Erhebung erfolgt durch die Finanzkasse (vgl. Nr. 120 AStBV (St) 2020, s. AStBV Rz. 120). Der BuStra obliegt die Leitung des Vollstreckungsverfahrens, sie entscheidet über die Maßnahmen i.S.d. §§ 93 ff. OWiG, z.B. darüber, ob eine Vollstreckung gem. § 95 Abs. 2 OWiG (vorläufig) unterbleibt (s. Rz. 10). Die Vollstreckungsstelle muss diesbezüglich eine Entscheidung der BuStra herbeizuführen.
Rz. 9.1
Für die Vollstreckung gerichtlicher Bußgeldentscheidungen ist grundsätzlich die StA (Rechtspfleger) zuständig (vgl. §§ 91, 92 OWiG, § 451 StPO). Es gelten die entsprechenden Vorschriften der StPO und des JGG. Gerichtliche Bußgeldentscheidungen werden nach der JBeitrO vollstreckt (vgl. § 459 StPO). Das gilt aber nur dann, wenn das Gericht eine Sachentscheidung über die Geldbuße, Nebenfolgen oder die Kosten getroffen hat.
Rz. 9.2
Beispiel
Stpfl. S hat gegen den Bußgeldbescheid der FinB verspätet Einspruch eingelegt, den der Amtsrichter deshalb als unzulässig verwirft (vgl. § 70 OWiG). Der Beschluss wird rechtskräftig. Vollstrec...