Vorwort
Das Erwartbare trat ein! Das Bundesverfassungsgericht hat am 10.4.2018 in fünf Verfahren, drei Normenkontrollvorlagen des Bundesfinanzhofs und zwei Verfassungsbeschwerden, entschieden, dass die Vorschriften zur Einheitsbewertung jedenfalls seit dem Beginn des Jahres 2002 mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) unvereinbar sind. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2019 eine Neuregelung zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt durften die gleichheitswidrigen Regelungen über die Einheitsbewertung weiter angewandt werden. Aufgrund der besonderen Sachgesetzlichkeiten der Grundsteuer ordnete das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus eine weitere Fortgeltung der beanstandeten Normen für fünf Jahre nach Verkündung der Neuregelung, längstens aber bis zum 31.12.2024, an. Diese abgestufte Fortgeltungsanordnung trägt der Tatsache Rechnung, dass es zur bundesweiten Neubewertung aller ca. 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten des Grundbesitzes eines außergewöhnlichen Umsetzungsaufwands im Hinblick auf Zeit und Personal bedarf.
Mit der Verabschiedung des Gesetzespakets zur Reform der Grundsteuer, bestehend aus
- dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 72, 105 und 125b) v. 15.11.2019
- dem Gesetz zur Reform des Grundsteuer- und Bewertungsrechts (Grundsteuer-Reformgesetz – GrStRefG) v. 26.11.2019 und
- dem Gesetz zur Änderung des Grundsteuergesetzes zur Mobilisierung von baureifen Grundstücken für die Bebauung v. 30.11.2019,
ist der Bundesgesetzgeber der Verpflichtung zur Neuregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts fristgerecht nachgekommen. Hierdurch wurde die Voraussetzung geschaffen, dass die Grundsteuer als unverzichtbare und verlässliche Einnahmequelle für die Gemeinden auch über das Jahr 2019 hinaus erhalten bleibt. Die Länder erhielten die Möglichkeit, abweichende landesrechtliche Regelungen zu treffen (sog. Länderöffnungsklausel). Den Gemeinden wurde für Kj. ab 2025 die Option eingeräumt, aus städtebaulichen Gründen für baureife Grundstücke einen gesonderten – höheren – Hebesatz festzusetzen (sog. Grundsteuer C).
Im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2020 v. 21.12.2020, des Fondsstandortgesetzes v. 3.6.2021 sowie des Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetzes v. 16.7.2021 wurden die grundsteuer- und bewertungsrechtlichen Vorschriften insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit und der praxisgerechten Anwendung fortentwickelt. Das Bundesministerium der Finanzen hat mit Zustimmung des Bundesrates auf Basis der Ermächtigungsgrundlage in § 263 BewG die Verordnung zur Neufassung der Anlagen 27 bis 33 des Bewertungsgesetzes v. 29.6.2021 und die Mietniveau-Einstufungsverordnung v. 18.8.2021 erlassen.
Darüber hinaus sind zur Anwendung des Siebenten Abschnitts des Zweiten Teils des Bewertungsgesetzes zur Bewertung des Grundbesitzes für die Grundsteuer ab 1.1.2022 koordinierte Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 9.11.2021 ergangen (zum allgemeinen Teil und Grundvermögen sowie zum land- und forstwirtschaftlichen Vermögen).
Nach dieser Flut an Rechtsvorschriften steht in 2022 ein Meilenstein in der praktischen Umsetzung der Reform an. Auf den 1.1.2022 sind für alle ca. 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten des Grundbesitzes (Betriebe der Land- und Forstwirtschaft sowie Grundstücke) auf der Grundlage des reformierten Grundsteuer- und Bewertungsrechts Grundsteuerwerte oder andere Bemessungsgrundlagen im Wege einer Hauptfeststellung gesondert festzustellen. Aufbauend auf diesen Feststellungen erfolgt eine Hauptveranlagung der Steuermessbeträge auf den 1.1.2025. Schließlich stellen die Finanzbehörden den Gemeinden die zur Festsetzung der Grundsteuer notwendigen Inhalte aus dem Steuermessbescheid zur Verfügung. Die Gemeinden bestimmen nach Kenntnis des neuen Grundsteuermessbetragsvolumens ihre Hebesätze für die Grundsteuer und setzen die ab dem Kalenderjahr 2025 geltende Grundsteuer im Wege eines Grundsteuerbescheides fest.
Die auch als "Jahrhundert-Reform" bezeichnete Neuregelung des Grundsteuer- und Bewertungsrechts ist nun auch der "Startschuss" für diesen Kommentar. Aufbauend auf der Erstkommentierung zum reformierten Grundsteuergesetz mit Bewertungsrecht vom Mai 2020 werden die Vorschriften des Grundsteuergesetzes in der Fassung des Grundsteuer-Reformgesetzes vom 26.11.2019 und der nachfolgenden Änderungsgesetze umfassend und praxisnah kommentiert. Durch eine lückenlose Darstellung der Rechtsentwicklung der Vorschriften bleibt der Bezug zur bisherigen Rechtslage gewahrt. Der Kommentar wird sukzessive um die abweichenden landesrechtlichen Regelungen und die für die Grundsteuer maßgeblichen Vorschriften im Bewertungsgesetz erweitert.
Ich danke der Steuerkommentar-Redaktion der Haufe Group für die konstruktive Unterstützung bei der Erstellung dieses Kommentars. Für Anregungen und Hinweise aus dem Nutzerkreis sind Redaktion und Autor stets dankbar.
Michael Roscher