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Weiterer Spielraum ergibt sich ganz konkret durch die in den ESRS benannten 269 Wahlrechte und darüber hinaus durch eine auffällige Diskrepanz zwischen den Zielen der themenspezifischen ESRS und den konkret anzugebenden Informationen. Grundsätzlich haben alle ESRS ein zumeist sehr breites, aber konkretes Ziel vorangestellt. So fordert exemplarisch ESRS E2.1 zu Umweltverschmutzungen, dass Nutzer des Nachhaltigkeitsberichts verstehen,
- wie das Unternehmen die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden beeinflusst, und zwar in Form von wesentlichen positiven und negativen tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen;
- welche Maßnahmen das Unternehmen ergreift und was das Ergebnis dieser Maßnahmen ist, um tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen zu verhindern oder abzuschwächen sowie um Risiken und Chancen anzugehen;
- welche Pläne und Fähigkeit das Unternehmen besitzt, um seine Strategie und sein Geschäftsmodell im Einklang mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Notwendigkeit der Vermeidung, Kontrolle und Beseitigung von Umweltverschmutzung anzupassen; damit soll eine schadstofffreie Umwelt ohne Umweltverschmutzung geschaffen werden, auch zur Unterstützung des EU-Aktionsplans "Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden";
- was die Art, der Typ und das Ausmaß der wesentlichen Risiken und Chancen des Unternehmens sind im Zusammenhang mit den verschmutzungsbezogenen Auswirkungen und Abhängigkeiten des Unternehmens sowie die Verhinderung, Verminderung, Beseitigung oder Verringerung der Verschmutzung, einschließlich der Fälle, in denen sich dies aus der Anwendung von Vorschriften ergibt, und wie das Unternehmen damit umgeht;
- welche finanziellen Auswirkungen auf das Unternehmen kurz-, mittel- und langfristig durch die wesentlichen Risiken und Chancen, die sich aus den verschmutzungsbezogenen Auswirkungen und Abhängigkeiten des Unternehmens ergeben, zukommen.
Dann erfolgt aber in ESRS E2.24 eine Wahlrechtsangabe: "Zusätzlich zum ESRS 2 MDR-T kann das Unternehmen angeben, ob ökologische Schwellenwerte (z. B. die Integrität der Biosphäre, stratosphärischer Ozonabbau, atmosphärische Aerosolkonzentration, Bodenverarmung, Versauerung der Ozeane) und unternehmensspezifische Aufteilungen bei der Festlegung der Ziele berücksichtigt wurden. Ist dies der Fall, kann das Unternehmen Folgendes erläutern:
a) die ermittelten ökologischen Schwellenwerte und die Methode zur Ermittlung dieser Schwellenwerte,b) ob die Schwellenwerte unternehmensspezifisch sind und, wenn ja, wie sie festgelegt wurden undc) wie die Verantwortung für die Einhaltung der festgelegten ökologischen Schwellenwerte innerhalb des Unternehmens aufgeteilt wird."
Fraglich ist, wie ein Adressat/Stakeholder das im Ziel benannte Verständnis über die Situation im Kontenxt der Verschmutzung für bestimmte Unternehmen erhalten kann, ohne diese Angabe. Nach ESRS 1.18 b) bedeutet die Formulierung "kann angeben" etwas kryptisch, dass die Angabe freiwillig zur Förderung bewährter Verfahren erfolgt. An dieser Stelle wäre die Rolle der Stakeholder zu beleuchten. Diese sollen bei der Wesentlichkeitsbetrachtung über einen Stakeholder-Dialog einbezogen werden. Unklar ist aber noch, ob die Stakeholder auch das Recht auf die Erfüllung ihrer Informationsbedarfe haben. Gerade bei der Einschätzung der Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt (und damit die Stakeholder) wird man deren Meinung wohl berücksichtigen müssen, zumal Enttäuschungen der Erwartungen der Stakeholder wieder zu Reputationsproblemen führen können. Somit ergibt sich ggf. auch hier eine Auslegung der Wahlrechte wie bei den alternativen Methoden nach IFRS: im Zweifel am Ziel des Nachhaltigkeitsberichts (und damit der Stakeholder) ausrichten und eben nicht frei vom berichtenden Unternehmen zu entscheiden.
Die Berücksichtigung von Erwartung bzw. Einschätzung der Stakeholder geht auch über die Anwendung von Wahlrechten hinaus und kann auch bei der Offenlegung von Pflichtangaben eine Rolle spielen. Zum Beispiel fordert E2-4 die Offenlegung von Parametern zu Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung. Explizit sollen Angaben zu den Stoffen der E-PRTR-Verordnung offengelegt werden, die die in der Verordnung festgelegten Schwellenwerte überschreiten (ESRS E2.29). Jedoch sollte für Stakeholder allerdings auch besonders von Interesse sein, welche Emissionen die Grenzwerte (gerade) noch nicht überschreiten, da gerade mit diesen bei einem Anstieg und einem Überschreiten der Grenzwerte Risiken und Auswirkungen für das Unternehmen einhergehen. Diese sind insbesondere für die interne Steuerung von besonderer Bedeutung und sollten somit auch in der Wesentlichkeitsanalyse identifiziert werden.