Leitsatz
1. Vorerwerbe außerhalb des für den letzten (nunmehr zu beurteilenden) Erwerb maßgeblichen Zehnjahreszeitraums dürfen bei dessen Besteuerung die Progressionshöhe nicht beeinflussen. Hat bei der Besteuerung des Mittelglieds einer Folge von Schenkungen, die sich über mehr als zehn Jahre hinzieht, die Zusammenrechnung mit einem Vorerwerb einen Progressionssprung bewirkt, so führt die Nichtberücksichtigung dieses Progressionssprungs bei der Besteuerung des ersten Erwerbs, der mit dem Vorerwerb aus dem vorangegangenen Zehnjahreszeitraum nicht mehr zusammenzurechnen ist, wohl aber noch mit dem Mittelglied der Schenkungsfolge, zu einer Überprogression, die zu korrigieren ist (Bestätigung von BFH-Urteil vom 17.11.1977, II R 56/68, BStBl II 1978, 220).
2. Die Korrektur der Überprogression ist nicht auf die Höhe des auf die jeweils letzte Zuwendung anzuwendenden Steuersatzes beschränkt (Abweichung von BFH-Urteil in BStBl II 1978, 220).
3. Die Korrektur der Überprogression hat bei der Besteuerung des ersten Erwerbs stattzufinden, der mit den Vorerwerben aus dem vorangegangenen Zehnjahreszeitraum nicht mehr zusammenzurechnen ist. Die Festsetzung einer negativen Steuer ist ausgeschlossen. Ein dadurch nicht voll ausgeschöpfter Korrekturbetrag kann bei einem ggf. nachfolgenden Erwerb berücksichtigt werden.
Normenkette
§ 14 Abs. 1 ErbStG
Sachverhalt
Der Kläger erhielt von seinem Vater vier freigebige Zuwendungen mit folgenden Steuerwerten:
1. 1982 (Vorschenkung I) 650 227 DM
2. 1990 (Vorschenkung II) 2 851 357 DM
3. 1993 (Vorschenkung III) 150 570 DM
4. 1994 472 789 DM
Bei der Besteuerung der letzten Zuwendung sind nur die 2. und 3. Vorschenkung zu berücksichtigen, weil die 1. Vorschenkung außerhalb des Zehnjahreszeitraums des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG liegt.
Bei der Berechnung des Abzugsbetrags wegen der Vorschenkungen unterfällt die 2. Vorschenkung einem Tarif von 12 % (der Tarifsprung von 12 auf 13 % findet bei 3 Mio. DM statt). Tatsächlich ist aber die 2. Vorschenkung mit 13 % besteuert worden, weil bei ihrer Besteuerung die 1. Vorschenkung zu berücksichtigen war und damals der Gesamtbetrag nach Abzug des Freibetrags die 3-Mio.-Grenze überschritt.
Das FA ließ für den 2. Vorerwerb nur den Abzug der nach dem Steuersatz von 12 % berechneten Steuer zu, während das FG die dafür abzuziehende Steuer mit 13 % berechnete.
Entscheidung
Der BFH folgte dem FG und wies die Revision des FA zurück. Zwar war nach § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ErbStG nicht die tatsächlich für die Vorerwerbe erhobene Steuer abzuziehen, sondern nur die Steuer, die für sie zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre; diese Berechnungsmethode lässt aber außer Acht, dass Mittelglieder einer Schenkungsfolge, die auch zu einem vorangegangenen Zehnjahreszeitraum gehören, allein aufgrund dieser Zugehörigkeit höher besteuert sein können, als aus der Sicht des späteren Zehnjahreszeitraums vorgeschrieben. Würde man diese Überprogression nicht korrigieren, wirkte der frühere Zehnjahreszeitraum in den späteren hinein. Dies widerspräche dem Regelungszweck des § 14 ErbStG.
Daher ist der Abzugsbetrag um den Betrag zu erhöhen, um den die Steuer einer zu berücksichtigenden Vorschenkung tatsächlich wegen einer nunmehr nicht mehr beachtlichen Vorschenkung aus einem früheren Zehnjahreszeitraum höher besteuert worden ist, als sie es ohne diese wäre.
Die Folgen des Überschneidens mehrerer Zehnjahreszeiträume sind folglich nicht nur beim Freibetrag, sondern auch beim Tarif zu beseitigen. Eines Rückgriffs auf den durch das Jahressteuergesetz 1997 neu geschaffenen Satz 3 des § 14 Abs. 1 ErbStG bedarf es dazu nicht.
Hinweis
Bei § 14 Abs. 1 ErbStG geht es nicht darum, die bereits ergangenen (bestandskräftigen) Steuerfestsetzungen für die Vorerwerbe zu ändern, sondern nur darum, die Steuer für den letzten Erwerb so zu berechnen, dass durch mehrere Zuwendungen innerhalb eines Zehnjahreszeitraums statt einer einzigen kein Steuervorteil durch wiederholte Inanspruchnahme des Freibetrags und durch Milderung der Steuerprogression entsteht.
§ 14 ErbStG dient nur dieser Berechnung. Die einzelnen Erwerbsvorgänge behalten ihre Selbstständigkeit. Daraus folgt auch, dass § 14 ErbStG niemals zu einer Steuererstattung führen kann.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 30.1.2002, II R 78/99