Kommentar
Zu den im Rahmen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abziehbaren Werbungskosten zählen auch die Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Gebäudes ( § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG i.V.m. § 7 Abs. 4 und Abs. 5 EStG ).
Über die Pauschbeträge ( § 9a EStG ) hinausgehende Werbungskosten werden bei der Einkommensteuerveranlagung grundsätzlich nur berücksichtigt, wenn und soweit sie vom Steuerpflichtigen in seiner Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden.
Hatte er es unterlassen, Gebäude-AfA geltend zu machen und das Finanzamt dem folgend die Einkünfte aus V+V ohne AfA festgesetzt, ist dieser Fehler nicht mehr ohne weiteres zu reparieren, wenn der Einkommensteuerbescheid nach Ablauf der Einspruchsfrist bestandskräftig geworden ist. Denn ein bestandskräftiger Steuerbescheid kann nachträglich nur ausnahmsweise korrigiert, nämlich wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt ( § 129 AO ) oder anderweitig geändert werden, wenn die Voraussetzungen einer gesetzlichen Änderungsvorschrift ( §§ 172 ff. AO ) gegeben sind ( Änderungsvorschriften ).
Nach § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, insgesamt also mechanische Versehen, jederzeit berichtigen. Fehler, die auf mangelnder Sachaufklärung oder Nichtbeachtung feststehender Tatsachen beruhen, genügen dagegen nicht. Danach liegt keine offenbare Unrichtigkeit vor, wenn die AfA in der Einkommensteuererklärung des Steuerpflichtigen nicht angesetzt worden war und das Finanzamt ohne die Kenntnis der Akten der Vorjahre diesen Fehler nicht erkennen konnte. – Im entschiedenen Fall lagen die Akten der Vorjahre dem Finanzamt noch nicht vor, weil sie das früher zuständige Finanzamt noch nicht übersandt hatte. -
Eine Änderung des Steuerbescheids wegen neuer Tatsachen ( § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ) setzt zunächst voraus, daß dem Finanzamt nachträglich Tatsachen bekannt geworden sind. Unter „Tatsache” im Sinne der Vorschrift ist alles zu verstehen, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein kann. Im Streitfall waren das die tatsächlichen Voraussetzungen der degressiven AfA ( § 7 Abs. 5 EStG ) im Streitjahr 1988.
„Neu” ist eine Tatsache dann, wenn sie dem zuständigen Bediensteten des Finanzamts beim Abschluß der Willensbildung in bezug auf den zu ändernden Steuerbescheid nicht bekannt war. Das Vorliegen der AfA-Voraussetzungen ist dem Finanzamt nicht bereits deshalb bekannt, weil sie zum Teil, d. h. was die Voraussetzungen der degressiven AfA für die Vorjahre betraf, dem früher zuständigen Finanzamt bekannt waren, bei dem die Kläger für die Vorjahre zur Einkommensteuer veranlagt worden waren. Denn bei einer Änderung wegen neuer Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen kann eine Tatsache nicht als bekannt gelten, die der zuständige Beamte lediglich hätte kennen können oder kennen müssen; das Finanzamt darf sich nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen auf sein eigenes Versäumnis oder Verschulden berufen.
Auch wenn von einer neuen Tatsache auszugehen ist, kann jedoch der streitige Steuerbescheid nur geändert werden, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß diese Tatsache erst nachträglich bekannt wurde. Diese Frage bedurfte im entschiedenen Fall noch der Klärung durch das Finanzgericht, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 26.11.1996, IX R 77/95
Hinweise:
Der für Pannen im Besteuerungsverfahren typische Fall dürfte für die Steuerpflichtigen letztlich ungünstig ausgehen, da man von ihrem groben Verschulden wird ausgehen müssen. Grobes Verschulden wird in der Regel angenommen, wenn der Steuerpflichtige eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beantwortet ( BFH, Urteil v. 9. 8. 1991, III R 24/87, BStBl 1992 II S. 65 ), denn er muß das Steuererklärungsformular gewissenhaft durchlesen. Im entschiedenen Fall hatten die Steuerpflichtigen die für die degressive AfA vorgesehenen Zeilen der Anlage V zur Einkommensteuererklärung unausgefüllt gelassen.
Das immerhin zu erwägende Verschulden des Finanzamts an dem fehlerhaften Bescheid spielt insoweit im allgemeinen keine Rolle ( BFH, Urteil v. 9. 8. 1991, III R 24/87, BStBl 1992 II S. 67 ). Nur wenn das Finanzamt z. B. durch eine falsche Auskunft den Fehler des Steuerpflichtigen gravierend mitverursacht hat, kann es an dessen grobem Verschulden fehlen (Frotscher in Schwarz, Kommentar zur AO, § 173 Tz.82).
Auch eine Nachholung der versehentlich unterlassenen degressiven AfA im Folgejahr wird nicht zugelassen; es kann sich lediglich der Gesamtabschreibungszeitraum des Gebäudes durch diese Unterlassung verlängern (vgl. BFH, Urteil v. 20. 1. 1987, IX R 103/83, BStBl 1987 II S.491 ).
Für den Steuerbürger ergibt sich nach alledem als Empfehlung, bei der Ausfüllung der Steuererklärung wie der Überprüfung von Steuerbescheiden größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen.