Leitsatz
Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation), die infolge veränderter Lebensplanung wegen einer früher freiwillig zum Zweck der Empfängnisverhütung vorgenommenen Sterilisation erforderlich werden, sind nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Normenkette
§ 33 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin hatte sich während ihrer ersten Ehe sterilisieren lassen. Nach der Scheidung entschloss sie sich mit ihrem späteren neuen Ehemann zu einer In-vitro-Fertilisation. Die dafür angefallenen Kosten von rund 8.500 DM, die die Krankenkasse nicht übernahm, machte sie beim FA und im Klageverfahren erfolglos als außergewöhnliche Belastung geltend.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision zurück. Bei der In-vitro-Fertilisation handele es sich nicht um eine gezielte, medizinische Behandlung zur Heilung oder Linderung einer Krankheit. Die Unfruchtbarkeit habe keinen Krankheitswert, da sie auf einem freiwilligen Eingriff zur Sterilisation beruhe. Es handele sich um die freiwillige und damit nicht zwangsläufige Ersetzung einer früher ebenso freiwillig getroffenen Entscheidung.
Hinweis
Unter homologer Insemination versteht man die Befruchtung mit dem Samen des Ehemanns. Bei der heterologen Insemination wird mit nicht vom Ehemann stammendem Samen befruchtet, also bei Befruchtung der Ehefrau mit dem Samen eines Dritten oder wenn eine nicht verheiratete Frau eine künstliche Befruchtung durchführen lässt.
Bei der homologen Insemination hat der BFH die Zwangsläufigkeit der Maßnahme und der dafür entstandenen Kosten anerkannt. Die Empfängnisunfähigkeit einer verheirateten Frau sieht der BFH als Krankheit an. Denn es handelt sich um einen anormalen körperlichen Zustand, der nach allgemeiner Meinung einer medizinischen Behandlung bedarf; um einen "Defekt", den eine verheiratete Frau nicht hinnehmen muss (BFH, Urteil vom 18.6.1997, III R 84/96, BStBl II1997, 805). Ebenso muss es sein, wenn sich der Ehemann medizinisch behandeln lässt, um seine Zeugungsunfähigkeit zu beheben.
Anders ist es bei der heterologen Insemination. Für den Fall der künstlichen Befruchtung der Ehefrau mit dem Samen eines fremden Manns wegen Zeugungsunfähigkeit des Ehemanns hat der BFH entschieden, dass die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind (BFH, Urteil vom 18.5.1999, III R 46/97, BStBl II 1999, 761). Denn die Erfüllung des Kinderwunschs gehört zur frei gestaltbaren Lebensführung und die Kinderlosigkeit als solche ist keine Krankheit. Durch die Befruchtung mit dem Samen eines Dritten wird weder bei der Ehefrau noch beim Ehemann eine Krankheit behandelt.
Noch nicht entschieden ist der Fall der heterologen künstlichen Befruchtung einer empfängnisunfähigen Frau. Hier kann wiederum differenziert werden zwischen der Befruchtung mit dem Samen eines fremden Manns, weil der Ehemann zeugungsunfähig ist, und dem Fall, dass eine unverheiratete Frau sich den Kinderwunsch erfüllen will. Für den zuletzt genannten Sachverhalt hat das FG Münster (Urteil vom 17.4.2003, 12 K 6611/01 E, EFG 2003, 1311) die Zwangsläufigkeit mit der Begründung verneint, die unverheiratete in einer außerehelichen Gemeinschaft lebende Frau befinde sich nicht in einer vergleichbaren Zwangslage wie eine verheiratete Frau, da sie bewusst auf den besonderen Schutz der Ehe verzichtet habe. Die Revision ist unter dem Aktenzeichen III R 30/03 anhängig.
Auch bei der homologen Insemination liegt jedoch dann keine Zwangsläufigkeit vor, wenn die Unfruchtbarkeit nicht auf einem anormalen Körperzustand beruht, sondern auf einer früher durchgeführten Sterilisation, d.h. dem bewussten mit dem Ziel vorgenommenen Eingriff, die regelgerechte Empfängnisbereitschaft zu unterbinden. Die In-vitro-Fertilisation ist dann keine krankheitsbedingte Behandlung, sondern eine Maßnahme, mit der die früher getroffene Entscheidung für die Sterilisation rückgängig gemacht wird. Die wesentliche Ursache liegt hier in der frei gestaltbaren Lebensführung. Das Merkmal der Zwangsläufigkeit fehlt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 3.3.2005, III R 68/03