In Bezug auf das Kreditereignis können zwei Betrachtungsweisen unterschieden werden. In der klassischen Perspektive, die auch den bisherigen Ausführungen zugrunde gelegen hat, besteht das Kreditrisiko in der Gefahr von Verlusten, die durch Ausfälle der Schuldner hervorgerufen werden. Veränderungen der Kreditwürdigkeit des Schuldners werden nicht berücksichtigt. Solange der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommt, wirken sich Bonitätsveränderungen beim Gläubiger nicht aus. Ein Verlust entsteht erst dann, wenn es zum Ausfall einer Forderung kommt. Diese Sichtweise eignet sich insbesondere für die Forderungen eines Industrie- oder Handelsunternehmens gegenüber seinen Kunden oder für das Kundenkreditgeschäft einer Bank.
Für das Ausfallrisiko von Wertpapieren bietet sich eine andere Sichtweise an. Hält ein Unternehmen Schuldverschreibungen eines bestimmten Emittenten im Bestand, dann hängt der Marktwert dieser Papiere von der Bonität des Emittenten ab. Verschlechtert sich die Bonität, was sich beispielsweise dadurch äußern kann, dass der Emittent von einer Ratingagentur herabgestuft wird, dann verringert sich der Marktwert der Schuldverschreibung. Wenn das Unternehmen nun beschließt, die Wertpapiere zu veräußern, dann wird sich nur ein geringerer Verkaufserlös realisieren lassen. Obwohl der Emittent nicht ausgefallen ist, würde dennoch ein Verlust realisiert werden.
Aus diesem Grund ist bei liquiden Positionen, deren Marktwert realisiert werden kann, neben der Möglichkeit des Ausfalls auch die Gefahr von Marktwertverlusten infolge von Bonitätsverschlechterungen zu berücksichtigen (vgl. Schierenbeck, 2003, S. 294 f.). Die Beschränkung auf die Analyse des ausfallinduzierten Kreditrisikos bietet sich dagegen vor allem bei Forderungen gegenüber Kunden an. Auch hier verändert sich der Marktwert als Folge von Ratingverschiebungen, allerdings lassen sich die Forderungen i. d. R. nicht zum Marktwert handeln, sodass die Marktwertverluste rein kalkulatorische Größen darstellen, die nicht in der Realität anfallen werden.
Fundstellen
Bröker, F.: Quantifizierung von Kreditportfoliorisiken. Eine Untersuchung zu Modellalternativen und Anwendungsfeldern, in: Rolfes, B., Schierenbeck, H. (Hrsg.): Schriftenreihe des Zentrums für Ertragsorientiertes Bankmanagement, Band 23, Frankfurt/Main 2000.
Kirmße, S.: Die Bepreisung und Steuerung von Ausfallrisiken im Firmenkundengeschäft der Kreditinstitute. Ein optionspreistheoretischer Ansatz, in: Rolfes, B., Schierenbeck, H. (Hrsg.): Schriftenreihe des Zentrums für Ertragsorientiertes Bankmanagement, Band 10, Frankfurt/Main 1996.
Schierenbeck, H.: Ertragsorientiertes Bankmanagement, Band 2: Risiko-Controlling und integrierte Rendite-/Risikosteuerung, 9. Auflage, Wiesbaden 2008.
Schierenbeck, H., Hölscher, R.: Bank Assurance. Institutionelle Grundlagen der Bank- und Versicherungsbetriebslehre, 4. Auflage, Stuttgart 1998.