Leitsatz
1. Die Grundsätze des EuGH-Urteils vom 23.2.2006, C-253/03, CLT UFA (Slg. 2006, I 1831; BFH/NV 2006, Beilage 3, 237, BFH/PR 2006, 195) zur unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit, wonach die Gewinne der Zweigniederlassung einer Gesellschaft, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, nicht mit einem höheren Steuersatz belastet werden dürfen als die Gewinne einer Tochtergesellschaft einer solchen Gesellschaft, die ihre Gewinne voll an die Muttergesellschaft ausschüttet, sind auf die Niederlassungsfreiheit des Art. 44 Abs. 3 EA Ungarn nicht übertragbar.
2. Die Grundsätze des EuGH-Urteils CLT-UFA sind auch nicht im Rahmen des Diskriminierungsverbots des Art. 24 Abs. 2 Satz 1 DBA-Ungarn anwendbar.
3. Vor dem Beitritt Ungarns zur EU kann sich eine ungarische Kapitalgesellschaft nicht auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG berufen.
Normenkette
§ 23 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3, § 27 Abs. 1 KStG 1996, § 23 Abs. 1, § 27 Abs. 1 KStG 1999, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, Art. 52 EGV, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, Art. 43 EG, Art. 6 Abs. 1, Art. 44 Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5 Buchst. a Doppelbuchst. ii, Art. 48 EA-Ungarn, Art. 3 Abs. 1 Buchst. d, Art. 24 Abs. 2 Satz 1 DBA-Ungarn, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Kapitalgesellschaft nach ungarischem Recht, die einer GmbH nach deutschem Recht entspricht, hatte in den Streitjahren 1997 bis 2000 ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung in Ungarn. Über eine im Inland gelegene Betriebsstätte führte sie Bau- und Isolierungsarbeiten für deutsche Auftraggeber aus.
Das FA erließ KSt-Bescheide unter Anwendung des gem. § 23 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 KStG 1996 für beschränkt Steuerpflichtige vorgesehenen Steuertarifs von 42 % in den Jahren 1997 und 1998 sowie des in § 23 Abs. 1 KStG 1999 angeordneten allgemeinen Thesaurierungssteuersatzes von 40 % in den Jahren 1999 und 2000. Mit ihrer dagegen gerichteten Klage beanspruchte die Klägerin, den KSt-Satz nach Maßgabe des EuGH-Urteils vom 23.2.2006, C-253/03, CLT UFA (Slg. 2006, I 1831) herabzusetzen. Die Klage blieb erfolglos (FG Nürnberg, Urteil vom 20.9.2011, 1 K 13/2008, Haufe-Index 2830535, EFG 2012, 658).
Entscheidung
Auch der BFH sah keinen Anlass für eine abweichende Entscheidung. Das Assoziationsabkommen mit Ungarn kenne zwar eine Niederlassungsfreiheit, nicht anders als der EU-Vertrag. Doch sei die Reichweite und Wirkkraft dieser Freiheit begrenzt und lasse sich eben nicht mit derjenigen vergleichen, wie sie innerhalb der Union garantiert werde.
Hinweis
1. Es handelt sich um eine Anschlussentscheidung zu dem EuGH-Urteil vom 23.2.2006, C-253/03, CLT UFA (BFH/NV 2006, Beilage 3, 237, BFH/PR 2006, 195). Das Urteil bezog sich auf die seinerzeit unterschiedlichen KSt-Sätze für Tochtergesellschaften und Betriebsstätten im Ausschüttungs- und Thesaurierungsfall im KStG a.F. Der EuGH sah in dieser Steuersatzspreizung einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Art. 52 Abs. 1 Satz 2 EGV (= Art. 59 AEUV) verlangt eine rechtsformneutrale Gleichbehandlung von allen Formen der Niederlassung im jeweils anderen Vertragsstaat.
Der BFH hatte daraufhin in seinem Schlussurteil vom 9.8.2006, I R 31/01 (BFH/NV 2007, 158; BFH/PR 2007, 19) entschieden, dass der hiernach "wirtschaftlich richtige" Steuersatz sich für das seinerzeitige Streitjahr 1994 rechtsformneutral mit 33,5 %, allenfalls 33,885 %, errechnet.
2. All das stand im Besprechungsurteil als solches nicht in Streit. Streitfrage war allein, ob auch eine ungarische Kapitalgesellschaft den Vorteil des CLT UFA-Urteils für sich in Anspruch nehmen konnte, bevor Ungarn der EU – am 1.5.2004 – beigetreten war.
Das würde voraussetzen, dass das zwischen Ungarn und der Union abgeschlossene Assoziationsabkommen vom 16.12.1991 – das sog. Europa-Abkommen – solches ermöglicht hätte. Das hat der BFH indessen verneint:
Zwar ist in jenem Abkommen in dessen Art. 44 Abs. 3 durchaus eine vergleichbare Niederlassungsfreiheit eingeräumt worden. Doch gewährt das assoziationsrechtliche "Niederlassungsrecht" den ungarischen Gesellschaften und Staatsangehörigen abweichend von der unionsrechtlichen Regelungslage nur einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Inländern bei der Niederlassung und Geschäftstätigkeit.
Nicht entnehmen lässt sich dem "Niederlassungsrecht" i.S.d. Art. 44 Abs. 3 EA-Ungarn hingegen ein der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit entsprechendes Gebot der Rechtsformneutralität, aufgrund dessen eine ungarische Gesellschaft verlangen könnte, dass ihre inländische Betriebsstätte steuerlich mit einer inländischen Tochtergesellschaft gleichgestellt wird, die ihren Gewinn vollständig an die ungarische Muttergesellschaft ausschüttet. Art. 44 Abs. 3 EA-Ungarn ist damit enger gefasst als Art. 52 Abs. 1 Satz 2 EGV und Art. 43 Abs. 1 Satz 2 EG.
Das lässt sich im Kern bereits dem BFH-Urteil vom 23.6.2010, I R 37/09 (BFH/NV 2010, 1889, BFH/PR 2010 455) – dort für die Beteiligung eines Inländers an einer ungarischen Beteiligung in Ungarn – entnehmen. Und nur das entspricht dem Sinn...