Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 18
Ein (relevanter) Vertrag kann eine oder mehrere Leistungsverpflichtungen (performance obligations) enthalten. IFRS 15. Appendix A definiert die Leistungsverpflichtung als die gegenüber einem Kunden im Rahmen eines Vertrags gegebene Leistungszusage entweder
- ein eigenständig abgrenzbares Gut bzw. eine eigenständig abgrenzbare Dienstleistung oder ein eigenständiges Bündel aus Gütern oder Dienstleistungen oder
- eine Reihe eigenständig abgrenzbarer Güter oder Dienstleistungen, die im Wesentlichen gleich sind und nach demselben Übertragungsmuster auf den Kunden übertragen werden (z. B. die mit einem einjährigen Reinigungsvertrag umfassten zyklisch vereinbarten Reinigungsleistungen).
Rz. 19
Für die Unterscheidbarkeit der Güter bzw. Dienstleistungen i. S. d. IFRS 15.22 a) müssen nach IFRS 15.27 sowohl das Kriterium der Abgrenzungsfähigkeit als auch der Abgrenzbarkeit im Vertragskontext vorliegen. Abgrenzungsfähigkeit bedeutet, dass der Kunde entweder aus den übertragenen Gütern und Dienstleistungen unmittelbaren Nutzen oder aus diesen in Verbindung mit bereits bei ihm vorhandenen anderen Ressourcen Nutzen ziehen kann (d. h. eigenständige Nutzbarkeit des Gutes). Dabei stellt der separate Verkauf des betreffenden Gutes bzw. der Dienstleistung einen wichtigen Indikator für die Abgrenzungsfähigkeit dar. Im Einzelfall lässt sich die Abgrenzbarkeit im Vertragskontext (d. h. Unabhängigkeit der im Vertrag enthaltenen Leistungsversprechen) schwieriger feststellen. Diese soll nach IFRS 15.29 insbesondere dann gegeben sein, wenn
- keine signifikante Integrationsleistung zu anderen im Vertrag übertragenen Gütern und Dienstleistungen erbracht wird, um ein mit dem Kunden vertraglich vereinbartes kombiniertes Endergebnis zu erzielen,
- keine wesentliche Modifizierung anderer im Vertrag gelieferter Güter und Dienstleistungen erfolgt, oder
- keine hohe Abhängigkeit oder Verbundenheit der einzelnen in einem Vertrag enthaltenen Güter und Dienstleistungen untereinander besteht (hiervon ist auszugehen, wenn der Nichterwerb eines bestimmten im Vertrag enthaltenen Guts oder Dienstleistung keinen Einfluss auf die anderen im Vertrag enthaltenen Güter und Dienstleistungen hat).
Sind die Kriterien für die Unterscheidbarkeit von Gütern und Dienstleistungen nicht gegeben, dann müssen diese so lange aggregiert werden bis ein (kleinst mögliches) Bündel von Gütern und Dienstleistungen die betreffenden Kriterien erfüllt.
Im Extremfall kann dies dazu führen, dass sämtliche in einem Kundenvertrag enthaltenen Leistungen als eine einzige Leistungsverpflichtung zu behandeln sind.
Rz. 20
Hinsichtlich der Identifizierung von separaten Leistungsverpflichtungen für Gewährleistungsverpflichtungen ist nach IFRS 15 zu unterscheiden, ob es sich entweder um gesetzliche oder handelsgebräuchliche Gewährleistungen einerseits oder um Gewährleistungen andererseits handelt, die der Kunde auch optional erwerben kann. Nur im letztgenannten Fall bestehen eigene Leistungsverpflichtungen i. S. d. IFRS 15. Demgegenüber sind für die gesetzlichen und handelsgebräuchlichen Gewährleistungen ggf. Rückstellungen nach Maßgabe des IAS 37 anzusetzen.
Rz. 21
Auch die Identifizierung von separaten Leistungsverpflichtungen beinhaltet Ermessensspielräume. Im Kontext von Fertigungsaufträgen stellt sich regelmäßig die Abgrenzbarkeit im Vertragskontext als ein schwer zu operationalisierendes Kriterium dar. Dies gilt insbesondere, wenn die in IFRS 15.29 aufgeführten Konstellationen, bei denen "Abgrenzbarkeit im Vertragskontext" vorliegt, zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. So liegen zwar gerade bei Fertigungsaufträgen regelmäßig wesentliche Integrationsleistungen vor (IFRS 15.29 a), andererseits sprechen die Vereinbarung von Stand-alone-Preisen für die einzelnen in Fertigungsaufträgen zugesagten Güter und Dienstleistungen (IFRS 15.29 c) für eine Abgrenzbarkeit im Vertragskontext.