Dr. Christian Schlottfeldt
1.1 Zwecke von Ausgleichskonten
Die Führung von Zeitkonten verbreitete sich insbesondere im Zuge der Verringerung der in Tarifverträgen festgelegten Wochenarbeitszeiten. Mit der Unterschreitung einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden bei Beibehaltung einer Betriebszeit auf Basis einer 5-Tage-Woche (Montag bis Freitag) und einer täglichen Arbeitszeitdauer von 8 Stunden als "Standardarbeitstag" kommt es strukturell zu einer Entkoppelung von Betriebszeit und individueller Arbeitszeit.
Auch der Gedanke der Erweiterung von Betriebs- und Servicezeiten zur Verbesserung der Kundenorientierung, der insbesondere in den 80er- und 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts verstärkt in den Vordergrund trat, führte zur Notwendigkeit, Differenzen zwischen der bedarfsbezogen eingeteilten (z. B. saisonal schwankenden) Arbeitszeit und der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit festzuhalten. Dies kann etwa sowohl Betriebe im Tourismus- und Freizeitsektor (Gastronomie, Bäderbetriebe, Campingartikel usw.) als auch gewerbliche Unternehmen mit auftragsbezogener Fertigung betreffen.
1.2 Erfassung von Differenzen
Die Saldierung von tatsächlich geleisteten gegenüber vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten setzt die Erfassung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit voraus. Die in der Praxis anzutreffenden Erfassungsmodelle sind vielfältig:
- Erfassung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeitdauer durch Selbstaufschreibung der Arbeitnehmer (etwa mittels Zeiterfassungsbogen oder -datei) als bloße Mengenerfassung;
- Erfassung der Abweichung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit von einer vorgegebenen Richtgröße (Soll-Arbeitszeit oder Plan-Arbeitszeit) als sogenannte Negativerfassung;
- Ermittlung der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit durch Erfassung von Arbeitsbeginn, Arbeitsende und Pausen (Positiverfassung).
Es bietet sich an, die zur Erfüllung der Schutzpflichten des Arbeitgebers erhobenen Daten auch für die betriebliche Zeitkontenführung zu nutzen.
Die Saldierung von Differenzen zwischen geleisteter und vertraglich vereinbarter Arbeitszeit setzt zudem voraus, dass die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit als rechnerische Basis der Saldierung im Zeitkonto hinterlegt wird. Bei tages- oder wochenflexibler Arbeitszeit (z. B. Gleitzeit) ist es dabei am einfachsten, wenn die wöchentliche (oder innerhalb eines Schichtzyklus zu leistende) Soll-Arbeitszeit gleichmäßig auf die Wochentage verteilt wird (z. B. bei Arbeitswoche Montag bis Freitag mit je 1/5 der Wochenarbeitszeit an diesen Wochentagen).
1.3 Ausgleichszeitraum des Zeitkontos
Der Ausgleichszeitraum des Zeitkontos ist die Zeitspanne, an deren Ende der Zeitsaldo wieder ausgeglichen sein muss (z. B. nach tarifvertraglicher Vorgabe 1 Jahr). Soweit Tarifverträge hier eine eindeutige Festlegung treffen, ist diese für Betriebsvereinbarungen bindend.
Exakte kalendarische Festlegungen mit Stichtagen sind nicht zu empfehlen, da sie eine "Nullsteuerung" des Zeitsaldos unabhängig vom betrieblichen Bedarf und/oder mitarbeiterseitigen Interessen erzwingen.
Auch die automatische Auszahlung von Plusstunden oberhalb einer definierten Bandbreite ist nicht zu empfehlen, da hiermit ein Zeitverbrauchsanreiz geschaffen werden könnte.
Das Problem von Stichtagsregelungen wird auch nicht durch die Ausbuchung überschießender Salden auf ein zweites Zeitkonto gelöst. Denn solche Abbaukonten verlagern das (Steuerungs-)Problem nur in die Zukunft und belasten die Steuerung des laufenden Zeitkontos. Eine fortlaufende Zeitkontensteuerung auf der Basis verbindlicher Bandbreiten und Steuerungsregeln ist demgegenüber vorzuziehen.
Empfehlungen für Zeitkonten:
- Zeitkonten sollten grundsätzlich ohne Stichtage "durchlaufen", also grundsätzlich nicht innerhalb des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses abgerechnet werden (Ausnahmen: Längere Unterbrechung der "aktiven" Beschäftigung z. B. aufgrund Langzeiterkrankung).
- Zeitkonten mit kalendarisch klar definiertem "Arbeitszeitjahr" empfehlen sich meist nur für Saisonbetriebe mit wiederkehrendem kollektivem "Nullpunkt".
- Zeitkonten sollten innerhalb definierter Bandbreiten fortlaufend und ohne Auszahlungen gesteuert werden.
Eine (z. B. tarifvertragliche) Vorgabe eines Ausgleichszeitraums sollte möglichst als "individuell-rollierender Ausgleichszeitraum" umgesetzt werden: Ein neuer Ausgleichszeitraum wird jeweils mit Erreichung des Zeitausgleichs (Zeitsaldo plusminusnull) neu in Gang gesetzt.
Individuell-rollierender Ausgleichszeitraum
Das Zeitkonto eines Mitarbeiters steht am 11.4.2023 auf Null. Da der Tarifvertrag einen 12-Monats-Ausgleich auf die Vertragsarbeitszeit vorschreibt, muss er spätestens am 10.4.2024 wieder die Nulllinie berührt haben.
Geschieht dies aber z. B. bereits am 21.6.2023, beginnt dieser Ausgleichszeitraum wieder von Neuem – und läuft dann bis spätestens zum 2.6.2024, usw.
1.4 Bandbreiten für Plus-/Minusstunden
Die im Plus- und Minusbereich zulässigen Bandbreiten sollten so gewählt sein, dass die zu erwartenden Schwankungen des Arbeitszeitbedarfs bei entsprechender Nutzung des Zeitkontos abgebildet werden. Dies kann je nach branchen- oder betriebsbezogenen Anforderung...