Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtbetriebsrat. Ablösungsprinzip. Verhältnis von Gesamtbetriebsvereinbarung und örtlicher Betriebsvereinbarung
Leitsatz (amtlich)
1. Liegen die Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor, ist der GBR auch legitimiert zur Änderung bereits bestehender regionaler Betriebsvereinbarungen.
2. Das Ablösungsprinzip hat auch im Verhältnis der Gesamtbetriebsvereinbarung zur örtlichen Betriebsvereinbarung jedenfalls dann zu gelten, wenn die Gesamtbetriebsvereinbarung Teil eines Sanierungskonzepts ist, dessen Akzeptanz Voraussetzung für die Abwendung einer sonst unvermeidlichen Insolvenz ist.
3. Eine Beteiligung der (örtlichen) Betriebsräte, deren zuvor mit dem Arbeitgeber getroffene Regelungen durch die Gesamtbetriebsvereinbarung betroffen sind, ist nicht vorgesehen und auch praktisch nicht durchführbar.
Normenkette
BetrVG § 50 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Urteil vom 20.07.2000; Aktenzeichen 7 Ca 85/00) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 20. Juli 2000 – 7 Ca 85/00 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer dem Kläger zustehenden Abfindung, insbesondere darüber, ob ein früherer örtlicher Sozialplan durch eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat wirksam abgelöst worden ist.
Der 1948 geborene Kläger war seit September 1978 bei der Hamburger Niederlassung der Beklagten im Bereich Hochbau als Zimmerer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers. Zuvor hatte die Beklagte nach Schließung des Bereichs Hochbau am Standort Hamburg betriebsbedingte Kündigungen zum 30. September 2000 bzw. zum 14. März 2000 ausgesprochen.
Die Beklagte zahlte dem Kläger eine Abfindung in Höhe von DM 18.969,– gemäß Gesamtbetriebsvereinbarung vom 10. Januar 2000, auf die Bezug genommen wird (Bl. 119–127 d.A.).
Mit seiner Klage begehrt der Kläger (unter Anrechnung der erfolgten Zahlung) eine Abfindung von DM 144.520,–. Diese würde ihm zustehen, wenn der vom örtlichen Betriebsrat am 25. Juni 1998 abgeschlossene Interessenausgleich und Sozialplan (Bl. 28 ff d. A.) weitergelten würde.
Der Kläger hat geltend gemacht, der Sozialplan vom 25. Juni 1998 sei nicht durch die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 10. Januar 2000 abgelöst worden. Der GBR sei nicht zuständig gewesen. Im übrigen habe es für die außerordentliche Kündigung des Sozialplans vom 25. Juni 1998 an einem wichtigen Grund gefehlt. Zudem sei die Geschäftsgrundlage dieses Sozialplans nicht infolge einer wirtschaftlichen Notlage fortgefallen, zumal die Beklagte laut Pressemitteilung bereits ab Mitte 2000 wieder schwarze Zahlen schreiben werde. Zweck beider Sozialplanregelungen sei die Unternehmenssanierung gewesen, wenn man auch auf Beklagtenseite 1998 die Verbindlichkeiten noch nicht habe beziffern können. Die wirtschaftliche Schieflage habe bereits 1997 bestanden, habe jedoch zunächst noch verschleiert werden können.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 125.551,– nebst 4% Zinsen seit dem 15. März 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, der Sozialplan von 1998, durch den man seinerzeit nur auf die örtlichen Auftragseinbrüche im Bereich Hochbau in Hamburg reagiert habe, sei durch die Vereinbarung vom 10. Januar 2000 abgelöst worden. Die Unternehmenssanierung im Zusammenhang mit dem Insolvenzantrag vom November 1999 habe zu einer völlig veränderten Situation geführt. Im Jahre 1998 habe niemand daran gedacht, daß die Existenz des gesamten Unternehmens selbst oder auch nur die Existenz des Standorts Hamburg gefährdet sein könnte. Deshalb sei die Geschäftsgrundlage für den Sozialplan vom 25. Juni 1998 entfallen. Jedenfalls aber sei die vorsorglich ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Sozialplans vom 25. Juni 1998 rechtswirksam.
Zu außerordentlichen Kündigung ist unstreitig, daß dieser Sozialplan durch ein an den Hamburger Betriebsratsvorsitzenden gerichtetes Schreiben der Direktion Nord vom 12. Januar 2000 vorsorglich mit folgender Begründung gekündigt wurde (Bl. 10 d. A.):
„Kündigung des Interessenausgleichs und Sozialplans (nebst Protokollnotiz) vom 25.06.1998
(…)
wie Ihnen seit Mitte November 1999 bekannt ist, befindet sich die … in einer existenzbedrohenden, wirtschaftlichen Krise. Nur aufgrund der dank der Vermittlung von Herrn Bundeskanzler … zustande gekommenen grundsätzlichen Einigung mit den Gläubigerbanken konnte der bereits gestellte Insolvenzantrag zurückgenommen werden.
Seit Abschluß des o.g. Interessenausgleichs und Sozialplans (nebst Protokollnotiz) vom 25.06.1998 hat sich somit die Situation bei der … in grundliegender und nachhaltiger Weise geändert. Folge dieser Veränderung ist eine vollkommen neue Flächen- und Organisationsstruktur bei der …, die aufgrund eines Beschlusses des Vorstands der… kurzfristig umgesetzt werden soll und ...