Entscheidungsstichwort (Thema)
Differenzvergütung zwischen Insolvenzgeld und infolge Rückabwicklung eines Altersteilzeitverhältnisses zustehendem Arbeitsentgelt als Altmasseschuld. Zahlungsklage der Arbeitnehmerin bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsphase des Altersteilzeitverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Der Lohnspruch der Klägerin ist durch die Stellung des Antrages auf Gewährung von Insolvenzgeld auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen. Da Insolvenzgeld jedoch nur in Höhe der abgesenkten Altersteilzeitvergütung bewilligt wurde, ist der darüber hinausgehende Arbeitsentgeltanspruch mit der Bestandskraft des Insolvenzgeldbescheides an die Klägerin zurückgefallen.
2. Bei den zurückgefallenen Lohnansprüchen der Klägerin handelt es sich um sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO, da der Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin als Gegenleistung aus einem Dauerschuldverhältnis in Anspruch genommen hat.
3. Der Gesetzgeber hat im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 03.04.2001 (9 AZR 301/00) § 55 InsO mit Wirkung vom 01.12.2001 abgeändert und in Abs. 3 geregelt, dass nach § 55 Abs. 2 InsO begründete Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die auf die Bundesagentur für Arbeit übergehen, von dieser nur als Insolvenzgläubiger geltend gemacht werden können. Nach dem Wortlaut erstreckt sich die Ausnahme von § 55 Abs. 2 InsO ausdrücklich lediglich auf die Ansprüche der Bundesagentur für Arbeit, nicht jedoch auch auf die Ansprüche der Arbeitnehmer, soweit diese nicht oder nicht mehr von dem Anspruchsübergang betroffen sind. An diese Wertung des Gesetzgebers sieht sich die erkennende Kammer gebunden.
4. Eine weitergehende Einschränkung des § 55 Abs. 2 InsO ist nicht nach dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung gerechtfertigt. Zwar werden die Vergütungsansprüche der Klägerin durch die gesetzliche Regelung hinsichtlich ihrer Wertigkeit unterschiedlich behandelt, soweit die Bundesagentur für Arbeit die übergegangenen Ansprüche nur als Insolvenzgläubiger geltend machen kann, während die für den gleichen Monat erwachsenen Ansprüche der Klägerin als Masseforderung zustehen. Bei einer anderen Wertung würde die Klägerin gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt, soweit der starke vorläufige Insolvenzverwalter Verbindlichkeiten eingegangen ist oder aus einem anderen Dauerschuldverhältnis fortgeführt hat. Dies lässt sich mit dem Regel/Ausnahmeverhältnis der Abs. 2 und 3 nicht rechtfertigen, wonach lediglich die Bundesagentur für Arbeit das Vorrecht des § 55 Abs. 2 InsO verliert.
Normenkette
InsO §§ 208-209, 38, 55 Abs. 2, 2 S. 2, Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 18.06.2015; Aktenzeichen 5 Ca 51/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 18.06.2015, 5 Ca 51/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass es sich bei dem festgestellten Betrag um eine Altmasseverbindlichkeit handelt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob es sich bei der Forderung der Klägerin auf Differenzvergütung zwischen dem bezogenen Insolvenzgeld und dem ihr infolge der Rückabwicklung eines Altersteilzeitverhältnisses noch zustehendem Arbeitsentgelt um eine Insolvenzforderung oder um eine Altmasseschuld handelt.
Die am 0.0.1952 geborene Klägerin war seit dem 22.02.1993 bei der Firma S. als Verkaufsstellenverwalterin im Ladengeschäft in E-Stadt tätig. Sie bezog bis Dezember 2010 eine monatliche Bruttovergütung von 2.477,00 € brutto bei einer Arbeitszeit von 37,5 Stunden pro Woche.
Die Klägerin schloss am 12.11.2010 mit ihrem Arbeitgeber einen Altersteilzeitvertrag (Bl. 3-4 d.A.) im Blockmodell. Danach sollte sie in der Zeit vom 01.11.2011 bis 31.12.2013 ihre bisherige Arbeitszeit von 37,5 Stunden leisten und in der Zeit vom 01.01.2014 bis zum 31.12.2016 von der Arbeit freigestellt sein. Die Bruttovergütung während der Altersteilzeit betrug im Jahr 2012 monatlich 1.238,59 €. Unter Berücksichtigung des Aufstockungsbetrags ergab sich ein fiktives Vollzeitentgelt von 2.706,00 € (Bl. 366 d.A.).
Über das Vermögen des Arbeitgebers wurde am 28.03.2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt (Bl. 111 d.A.). Bereits durch Beschluss vom 30.01.2012 (Bl. 207-208 d.A.) war die Verwaltung- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Arbeitgebers auf den Beklagten übertragen worden.
Am 31.08.2012 zeigte der Beklagte drohende Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO an (Bl. 209-210 d.A.).
Der Beklagte beschäftigte die Klägerin als sogenannter starker vorläufiger Insolvenzverwalter zunächst auch nach dem 30.01.2012 fort. Er kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12.07.2012 (Bl. 40-41 d.A.) zum 31.10.2012. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage nahm die Klägerin am 30.09.2014 zurück. Ab 01.07.2012 wurde die Klägerin nach der endgültigen Betriebsstilllegung freigestellt...