Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlungsanspruch aus übergegangenem Recht. Schuldhaftes Herbeiführen der Arbeitsunfähigkeit. Arbeitgeberseitiges Risiko der Unaufklärbarkeit schuldhaften Verhaltens
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der nach einem Arbeitsunfall Verletztengeld und Sozialversicherungsbeiträge für den Arbeitnehmer geleistet hat, kann die entsprechende Erstattung vom Arbeitgeber aus übergegangenem Recht nach § 115 Abs. 1 SGB X verlangen.
2. Eine selbstverschuldete Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer ein grober Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten vorzuwerfen ist.
3. In den Fällen, in denen die Ursachen der Arbeitsunfähigkeit nicht aufzuklären sind und damit auch ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht nachweisbar ist, liegt das "Risiko der Unaufklärbarkeit" beim Arbeitgeber.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1; SGB X § 115 Abs. 1; BGB § 276
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 07.06.2018; Aktenzeichen 3 Ca 1409/17) |
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X).
Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Versicherte Z ist seit dem 15. November 2015 als Kaminbauer (Geselle) bei der Beklagten beschäftigt.
Er erlitt am 1. Juni 2017 einen Arbeitsunfall, infolge dessen er arbeitsunfähig erkrankte. Er führte an diesem Tag gemeinsam mit dem Meister Y und dem Gesellen X Arbeiten in der W in T durch. Um einen Kamin abzubrechen, stellten die drei Arbeitnehmer eine Arbeitshilfe auf dem Holzboden des Dachbodens auf. Hierbei handelte es sich um zwei senkrechte Seitenteile aus Metallrohren, zwischen denen ein unteres und ein oberes Brett auflagen. Die Arbeitshilfe war etwa 1,90 m hoch und hatte eine Breite von 2,50 m.
Die Arbeitnehmer erkannten die Gefahr, dass der Holzboden morsch sein könnte und überprüften einzelne Bereiche des Holzbodens entsprechend. Trotz der Sicherheitsbelehrungen über den ordnungsgemäßen Aufbau von Gerüsten und Arbeitshilfen durch die Beklagte stellten sie die Arbeitshilfe mit den senkrechten Metallrohren direkt auf den Holzboden, anstatt die Auflagefläche durch Anbringen von Standfüßen oder -spindeln oder durch Unterlegen mit Bohlen zu vergrößern. Die Arbeitnehmer meinten, dass aufgrund der geringen Arbeitshöhe die zur Arbeitshilfe gehörenden Gerüstfußplatten nicht verwendet werden könnten. Ob dies tatsächlich der Fall war und ob die Gewerbeaufsicht die Gerüstfußplatten am Unfallort unterlegen konnte, ist zwischen den Parteien streitig.
Nach dem Aufbau nahmen die Mitarbeiter ohne weitere Prüfung der Standfestigkeit der Arbeitshilfe oder der Tragfähigkeit des Bodens ihre Arbeiten auf. Der Versicherte Z begab sich auf die Arbeitshilfe, die umstürzte, weil der Holzboden an einer der Stellen einbrach, auf der sich ein Metallrohr der Arbeitshilfe befand. Er zog sich bei dem Sturz erhebliche Verletzungen zu und war bis 31. Juli 2017 (und darüber hinaus) arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete keine Entgeltfortzahlung. Daher zahlte die Klägerin gemäß §§ 45, 52 SGB VII an Herrn Z für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit vom 20. Juni 2017 bis 31. Juli 2017 ein kalendertägliches Verletztengeld in Höhe von 57,14 EUR, insgesamt 2.342,74 EUR. Darüber hinaus leistete die Klägerin gemäß §§ 170 SGB VI, 347 SGB III, 251 SGB V und 59 Abs. 2 SGB XI für den vorgenannten Zeitraum Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von 322,67 EUR, zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 51,66 EUR, zur Krankenversicherung in Höhe von 423,12 EUR und zur Pflegeversicherung in Höhe von 73,80 EUR. Den Gesamtbetrag in Höhe von 3.213,99 EUR zahlte die zuständige Krankenkasse IKK Südwest für die Klägerin aus und stellte ihr diesen Betrag mit Abrechnung vom 1. September 2017 (Bl. 6 f. d.A.) und Beitragsrechnung vom 1. September 2017 (Bl. 8 d.A.) in Rechnung.
Mit Schreiben vom 22. September 2017 meldete die Klägerin einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe von 3.213,99 EUR im Wege des Anspruchsüberganges gemäß § 115 SGB X bei der Beklagten an (Bl. 9 f. d.A.). Die Beklagte erstattete die Kosten nicht.
Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 7. Juni 2018 (Bl. 32 - 36 d.A.) Bezug genommen und ergänzend auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur verurteilen, an die Klägerin 3.213,99 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 7. Juni 2018 der Klage ...