Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenvertretung. Teilnahmerecht. Besprechungen. informell. Gremien. Ausschuss. Teilnahmerecht der Schwerbehindertenvertretung
Leitsatz (amtlich)
1. Weder aus dem Betriebsverfassungsgesetz noch aus dem Sozialgesetzbuch IX ergibt sich ein Anspruch der Schwerbehindertenvertretung, an allen Gesprächen, die zwischen Betriebsrat/ Betriebsratsmitgliedern und Arbeitgeberseite geführt werden, beratend teilzunehmen.
2. Die Schwerbehindertenvertretung soll dort beraten, wo in entscheidungsfähigen Gremien eine Willensbildung und/oder eine Information zum Zwecke der vertrauensvollen Zusammenarbeit dieser Gremien erfolgen.
Normenkette
BetrVG §§ 32, 28, 74 Abs. 1; SGB IX § 95 Abs. 4-5
Verfahrensgang
ArbG Kiel (Beschluss vom 17.04.2008; Aktenzeichen 1 BV 7 c/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 17.04.2008 – 1 BV 7c/08 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Freistellungsanspruches des Schwerbehindertenvertreters für die Teilnahme an in 14-tägigem Rhythmus stattfindenden Gesprächen zweier Betriebsratsmitglieder mit zwei Arbeitgebervertretern im Rahmen von sogenannten „Standardterminen”.
Der Antragsteller ist Schwerbehindertenvertreter bei der Beteiligten zu 2. In der Vergangenheit war er bis zur den letzten Betriebsratswahlen gleichzeitig Betriebsratsvorsitzender.
Die Beteiligte zu 2 beschäftigt rund 220 Arbeitnehmer, davon ca. 12 Schwerbehinderte. In ihrem Betrieb ist ein Betriebsrat mit neun Mitgliedern gebildet.
Mit Datum vom 01.03.2006 hat der Betriebsrat der Beteiligten zu 2, damals noch unter dem Vorsitz des hiesigen Antragstellers, mit der Beteiligten zu 2 eine Vereinbarung unter anderem über betriebliche Kommunikations- und Regelungsebenen geschlossen (Anlage A 1 – Bl. 4 ff. d. A.). In ihr wurde unter Ziffer 1 die Durchführung sogenannter „Standardtermine” geregelt. Es wurde festgelegt, dass sie 14-tägig donnerstags von 8.00 Uhr bis 9.00 Uhr (jetzt 8.00 Uhr bis 10.00 Uhr) stattfinden; an ihr zwei Arbeitnehmer- und zwei Arbeitgebervertreter teilnehmen und dort Tagesordnungspunkte auf Zuruf sowie das Regelthema „Belegung Ist/Soll, Personal, Einstellungsplanung” besprochen werden soll (Bl. 5 d. A.).
Ziffer 2 dieser Vereinbarung regelt das Monatsgespräch nach § 74 Abs. 1 BetrVG. Insoweit wurde festgelegt, dass solche Gespräche am letzten Donnerstag im Monat um 15.00 Uhr durchgeführt werden; Geschäftsführung, Personalabteilung und Betriebsrat teilnehmen sowie die Tagesordnung thematisch vorab festzulegen und jeweils montags vor der Sitzung zuzuleiten ist (Bl. 5 d. A.).
Der Antragsteller nimmt als Schwerbehindertenvertretung an allen Ausschusssitzungen im Betrieb teil. Ebenso an den Monatsgesprächen. Er möchte zusätzlich an den „Standardgesprächen” teilnehmen, um vollständig informiert zu sein und die Interessen der Schwerbehinderten wahrnehmen zu können. Für eine derartige Teilnahme hat er mit Schreiben vom 31.10.2007 bei der Beteiligten zu 2 Freistellung beantragt. Das hat die Antragsgegnerin abgelehnt. Daraufhin hat der Antragsteller letztendlich mit Schriftsatz vom 06.02.2008 das vorliegende Beschlussverfahren auf Freistellung gemäß § 96 Abs. 4 SGB IX für die Teilnahme an den Standardterminen eingeleitet.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, ein Freistellungsanspruch bestehe nicht, da sich für die Schwerbehindertenvertretung weder ein Teilnahmerecht aus § 95 Abs. 4 SGB IX noch aus § 95 Abs. 5 SGB IX und auch keines aus § 32 BetrVG ergebe. Dieser „Standardtermin” stelle keine Ausschusssitzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes/Sozialgesetzbuches dar und sei auch kein Monatsgespräch im Sinne des § 74 Abs. 1 BetrVG. Weitere Teilnahmerechte an anderen Gesprächen habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen und auch nicht gewollt.
Hinsichtlich der Einzelheiten sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den erstinstanzlichen Beschluss des Arbeitsgerichts Kiel vom 17.04.2008 – 1 BV 7 c/08 – verwiesen. Gegen diese dem Antragsteller am 19.05.2008 zugestellte Entscheidung legte er am 16.06.2008 Beschwerde ein, die am 16.07.2008 per Fax/17.07.2008 im Original begründet wurde.
Er trägt im Wesentlichen vor, das Arbeitsgericht habe schon die allgemeinen Auslegungsregeln nicht beachtet und sei unter anderem deshalb zu einem falschen Ergebnis gekommen. Die Begriffe „Sitzungen”, „Ausschuss des Betriebsrats” seien ebenso wie der „Besprechungs”-Begriff in § 74 BetrVG weit auszulegen. Die Schwerbehindertenvertretung habe ein Recht, an allen Gesprächen, die zwischen Betriebsrat/Betriebsratsmitgliedern und Arbeitgeberseite geführt werden, teilzunehmen. Mit der Neuregelung des SGB IX sei der Aufgabenbereich der Schwerbehindertenvertretung enorm ausgeweitet worden. Dem habe der Gesetzgeber unter anderem durch Ausweitung der Teilnahmerechte auf alle möglichen Gremien und Gespräche Rechnung getragen. Auslöse...