BMF, Schreiben v. 18.1.2010, IV D 4 - S 2230/09/10001, BStBl I 2010, 46
Bezug: Erörterungen zu TOP 6 der Sitzung ESt VI/09 und zu TOP 6 der Sitzung ESt VII/09
Im Hinblick auf das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 25.3.2009, IV R 21/06 (BStBl 2009 II S. …) zur ertragsteuerrechtlichen Abgrenzung eines Betriebs der Land- und Forstwirtschaft von einem Handelsgeschäft wird an der bisherigen Rechtsauffassung in R 15 Abs. 5 und 6 EStR nicht mehr festgehalten.
Nach den Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt zur Abgrenzung der Land- und Forstwirtschaft vom Gewerbe über den entschiedenen Einzelfall hinaus nunmehr das Folgende:
1. Begriffsdefinitionen
1.1 Eigene Erzeugnisse
Eigene Erzeugnisse sind alle land- und forstwirtschaftlichen Urprodukte, die im Rahmen des Erzeugungsprozesses im eigenen Betrieb gewonnen werden. Hierzu gehören auch zugekaufte Waren, die als Roh-, Hilfs- oder Betriebsstoffe im Erzeugungsprozess des Hauptbetriebs verwendet werden.
Rohstoffe sind zugekaufte Waren, die im Rahmen der Urproduktion weiterkultiviert werden (z.B. Jungtiere, Saatgut oder Jungpflanzen). Hilfsstoffe sind zugekaufte Waren, die als nicht wesentlicher Bestandteil in ein Urprodukt eingehen (z.B. Futtermittelzusätze, Siliermittel, Starterkulturen und Lab zur Milchverarbeitung, Trauben und Traubensaftkonzentrat zur Weinerzeugung, Verpackungsmaterial, Blumentöpfe für die eigene Produktion oder als handelsübliche Verpackung. Betriebsstoffe sind Waren, die im Erzeugungsprozess verwendet werden und nicht in das Urprodukt eingehen (z.B. Düngemittel, Treibstoff, Heizöl). Unerheblich ist, ob die zugekaufte Ware bereits ein land- und forstwirtschaftliches Urprodukt im engeren Sinne oder ein gewerbliches Produkt darstellt.
1.2 Zukaufswaren
Als Zukaufsware gelten alle zur Weiterveräußerung zugekauften Erzeugnisse, Produkte oder Handelswaren, die nicht im Erzeugungsprozess des eigenen Betriebs verwendet werden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um betriebstypische bzw. -untypische Erzeugnisse, Handelsware zur Vervollständigung einer für die Art des Erzeugungsbetriebs üblichen Produktpalette oder andere Waren aller Art handelt. Werden zugekaufte Roh-, Hilfs- oder Betriebsstoffe weiterveräußert, gelten diese im Zeitpunkt der Veräußerung als Zukaufsware. Dies gilt unabhängig davon, ob die Veräußerung gelegentlich (z.B. Verkauf von Diesel im Rahmen der Nachbarschaftshilfe) oder laufend (z.B. Verkauf von Blumenerde) erfolgt. Die hieraus erzielten Umsätze sind bei der Abgrenzung entsprechend zu berücksichtigen.
2. Abgrenzungsregelungen
2.1 Grundsatz
Werden ausschließlich eigene Erzeugnisse abgesetzt, stellt dies eine Vermarktung land- und forstwirtschaftlicher Urprodukte dar, selbst wenn sie über ein eigenständiges Handelsgeschäft oder eine Verkaufsstelle (z.B. Großhandelsbetrieb, Einzelhandelsbetrieb, Ladengeschäft, Marktstand oder Verkaufswagen) erfolgt. Unerheblich ist die Anzahl der Verkaufsstellen oder ob die Vermarktung in räumlicher Nähe zum Betrieb erfolgt. Werden dagegen ausschließlich zugekaufte Waren abgesetzt, ist die Veräußerung der Zukaufsware von Anfang an eine gewerbliche Tätigkeit. Auf die Art und den Umfang der Veräußerung kommt es dabei nicht an.
2.2 Mischfälle
Werden neben eigenen Erzeugnissen auch zugekaufte Waren abgesetzt, kann neben einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft auch ein selbständiger Gewerbebetrieb entstehen. Dies ist dann der Fall, wenn die Betriebseinnahmen (ohne Umsatzsteuer) aus den zugekauften Waren ein Drittel des Gesamtumsatzes des Betriebs (Summe der Betriebseinnahmen ohne Umsatzsteuer) oder 51.500 EUR (ohne Umsatzsteuer) im Wirtschaftsjahr nachhaltig übersteigen. Liegen diese Voraussetzungen vor, entsteht unabhängig von der Art des Absatzes ein Gewerbebetrieb. Die Erzeugung und die Vermarktung der landwirtschaftlichen Urproduktion durch den daneben bestehenden Betrieb der Land- und Forstwirtschaft bleiben hiervon unberührt.
Der Steuerpflichtige trägt für die Zuordnung der Betriebseinnahmen zu den eigenen Erzeugnissen und den Zukaufswaren die Beweislast. Er hat die Zuordnung durch leicht und einwandfrei nachprüfbare Aufzeichnungen nachzuweisen und entsprechende Beweisvorsorge zu treffen.
3. Anwendungsregelung
Für die vorstehenden Regelungen gelten die Grundsätze des Strukturwandels (R 15.5 Abs. 2 EStR).
Soweit sich aus diesem Schreiben für einen Steuerpflichtigen Verschlechterungen gegenüber der bisherigen bundeseinheitlichen Verwaltungsauffassung ergeben, sind die Regelungen erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 30.6.2010 beginnen. Für diesen Fall können bei der Beurteilung eines Strukturwandels nach R 15.5 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 EStR für die Wirtschaftsjahre 2008/2009, 2009/2010 die bisherigen Regelungen der R 15.5 Abs. 5 und Abs. 6 EStR angewendet werden. Ab dem Wirtschaftsjahr 2010/2011 sind die vorstehenden Grundsätze maßgeblich.
Dieses Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
Normenkette
EStR R 15.5;
EStG § 15
Fundstellen
BStBl I, 2010, 46