Prof. Dr. Franz Jürgen Marx
Rz. 107
Absatz 4 wurde durch ÄndGLGrStG v. 22.12.2021 in § 38 LGrStG BW eingefügt. Die Schaffung einer Nachweismöglichkeit für einen anderen Wert (Öffnungsklausel, Escape-Klausel) vergleichbar mit § 198 und § 138 Abs. 4 BewG, die es den Steuerpflichtigen ermöglichen würde, niedrigere Verkehrswerte nachzuweisen, wurde im Schrifttum für das reformierte Bundesrecht und für das LGrStG BW ausdrücklich gefordert. Solche Öffnungsklauseln geben den Steuerpflichtigen einen Rechtsanspruch, durch andere anerkannte Bewertungsmethoden nachzuweisen, dass der nach den gesetzlichen Vorschriften ermittelte Wert zu hoch und der nachgewiesene Wert der Besteuerung zu Grunde zu legen ist. Mit Öffnungsklauseln wird erreicht, dass die im Einzelfall nicht zu vermeidenden Überbewertungen die Zulässigkeit typisierender Bewertungen nicht in Frage stellt (s. § 198 BewG Rz. 16). Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf der Steuergesetzgeber "... aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung typisieren und dabei die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen, wenn die daraus erwachsenden Vorteile im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen, er sich realitätsgerecht am typischen Fall orientiert und ein vernünftiger, einleuchtender Grund vorhanden ist ..."
Rz. 108
Die Gesetzesbegründung betont zunächst die Notwendigkeit, die Grundsteuererhebung durch Typisierung im Massenverfahren administrierbar zu gestalten. Für Extremfälle habe es bisher schon im Wege der Billigkeitsmaßnahmen nach der Abgabenordnung und aufgrund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Wertermittlung Möglichkeiten der Berücksichtigung eines niedrigeren Werts gegeben. Sodann wird auf die Änderung der für die Bodenrichtwertzonen bedeutenden Immobilienwertermittlungsverordnung hingewiesen, die die Bewertungskriterien bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte weiter geschärft hat, indem die Spannbreite von plus/minus 30 Prozent nicht mehr nur für eine Mehrheit der Grundstücke eingehalten werden muss, sondern grundsätzlich. Dadurch werden die zukünftigen Bodenrichtwertzonen homogener, sodass nur noch in Einzelfällen Wertabweichungen festzustellen seien. Die von der Nachweismöglichkeit erfassten Fälle dürften insgesamt eher selten sein, da die Regelung mehrfache Begrenzungen aufweist.
Rz. 109
Erkennbar steht die nachträgliche Einführung der Escape-Klausel im LGrStG BW unter der Vorgabe, die Administrierbarkeit im Masseverfahren nicht zu gefährden. § 38 Abs. 4 LGrStG BW gibt den Steuerpflichtigen lediglich eine eingeschränkte Nachweismöglichkeit und bleibt daher deutlich hinter dem Ideal zurück. Nur für die außerhalb der 30 Prozent-Spanne liegenden Fälle kann auf Antrag ein abweichender Wert angesetzt werden. Ob die Spanne überschritten wird, ist allerdings erst nach Durchführung der Begutachtung festzustellen. Neben dieser quantitativen Einschränkung ist zu beachten, dass der andere Wert angesetzt werden kann. Im Anhörungsverfahren wurde die offene Formulierung bezüglich der Bindungswirkung des Gutachtens kritisiert. Ist der Nachweis durch den Steuerpflichtigen mit einem nicht zu beanstandenden Gutachten erbracht, liegt keine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde vor.
Zu Wertabweichungen zwischen dem zu bewertenden Grundstück und dem Richtwertgrundstück kann es u.a. durch einen abweichenden Erschließungszustand, abweichende Grundstücksgröße und/oder -tiefe, einer unterschiedlichen Geschossflächenzahl und etwa durch das Vorhandensein von Frei- und Verkehrsflächen kommen.
Rz. 110
Bezugsgröße für die Ermittlung der erforderlichen Abweichung ist der typische, nach § 38 Abs. 1 oder 3 LGrStG BW ermittelte Wert für das (fiktiv) unbebaute Grundstück und damit für den Grund und Boden zum Zeitpunkt der jeweiligen Hauptfeststellung. Wie die Regelbewertung berücksichtigt auch die Schattenbewertung nur die Einflussfaktoren auf den jeweiligen Wert des Grund und Bodens. Individuell rational erscheint nur der Nachweis eines niedrigeren Werts, obwohl § 38 Abs. 4 LGrStG BW vom anderen Wert des Grundstücks spricht und somit auch die Berücksichtigung eines höheren Werts ermöglicht. Der niedrigere Wert kommt nur zum Tragen, wenn die Wertabweichung die Marke von 30 % überschreitet. Die Begrenzung ist aus den Vorgaben der Immobilienwertverordnung abgeleitet. Im Anhörungsverfahren wurde die Wertgrenze für die Nachweismöglichkeit als zu hoch angesehen und eine absolute Wertgrenze als Alternative vorgeschlagen.
Rz. 111
Den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast und nicht nur die Darlegungslast. Er muss entscheiden, ob der Nachweis geführt werden soll, für den er auch die Kosten trägt. Mögliche Vorteile liegen in Höhe der diskontierten Grundsteuerersparnis für den Hauptveranlagungszeitraum. Ggfs. ist auch ein koordiniertes Vorgehen mehrerer betroffener Steuerpflichtiger denkbar. § 38 Abs. 4 Satz 1 LGrS...