rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Cum-Ex-Geschäfte
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Durchsuchungsbeschluss erfüllt die Mindestanforderungen an die Konkretisierung des Tatvorwurfs, so dass ihm verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt, wenn der Richter die aufzuklärende Tat in dem Durchsuchungsbeschluss, wenn auch kurz, doch so genau umschreibt, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Mängel in der Beschreibung der aufzuklärenden Tat können durch die Bezeichnung der zu suchenden Beweismittel ausgeglichen werden, sofern diese Rückschlüsse auf den konkreten Tatvorwurf zulassen.
2. In der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger kann eine die Verjährung unterbrechende Bekanntgabe der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens liegen, wenn aus den Umständen klar ersichtlich wird, dass die dem Verteidiger gewährte Akteneinsicht zur Information des Beschuldigten über Existenz, Inhalt und Umfang des Ermittlungsverfahrens dienen soll und auch tatsächlich gedient hat.
3. Wer die Steueranrechnung bzw. Steuererstattung tatsächlich nicht einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschläge gegenüber den Finanzbehörden auf der Grundlage von Kapitalerträgen aus Cum-Ex-Leerverkaufsgeschäften beantragt, macht unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen; dies führt im Fall ihrer positiven Bescheidung zu ungerechtfertigten Steuervorteilen und erfüllt damit den Straftatbestand der Steuerhinterziehung.
4. Auch bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO steht der Umstand, dass der Angeklagte seine Tatbeiträge lediglich im Vorfeld der Steuererklärung erbracht hat, der Annahme von Täterschaft nicht entgegen, wenn ihm aufgrund seiner Tätigkeit eine Schlüsselstellung bei den Taten zukam. Hierbei kommt es insbesondere auch darauf an, ob das Verhalten eines Tatbeteiligten als entscheidender Tatbeitrag für die Abgabe der unrichtigen Steuererklärung bzw. Steueranmeldung zu bewerten ist. Vor diesem Hintergrund ist die fehlende Herrschaft über die Abgabe einer Steuererklärung auch nicht das allein ausschlaggebende Kriterium für die Frage, ob ein Tatbeitrag als täterschaftlich zu bewerten ist oder nicht. Hier: Die unter seiner Mitwirkung ausgehandelten und abgeschlossenen vertraglichen Vereinbarungen zwischen der HE mit der YG Bank und mit der YA Capital UK Ltd. waren zwingende Voraussetzung für sämtliche CumEx-Leerkaufstransaktionen des BC German Equity Special Fund sowie für die Erstattungsanträge der YG Bank gegenüber dem Bundeszentralamt für Steuern.
5. Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es keiner Absicht und keines direkten Vorsatzes. Es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes für möglich hält und billigend in Kauf nimmt. Der Hinterziehungsvorsatz setzt weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs bzw. der steuerrechtlichen Lage voraus. Notwendig, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass der Täter die eine Steuerhinterziehung ausfüllenden objektiven Tatbestandsmerkmale im Rahmen einer „Parallelwertung in der Laiensphäre” zutreffend erfasst.
Normenkette
AO §§ 39, 370, 376 Abs. 1; StGB §§ 78, 78a, 78c; InvStG § 11 Abs. 2 S. 1; EStG § 44b Abs. 6 S. 3
Nachgehend
Tenor
Der Angeklagte ist schuldig der Steuerhinterziehung in 2 Fällen.
Er wird zu der Gesamtfreiheitsstrafe von
verurteilt.
Von dieser Strafe gelten wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwei Monate als bereits vollstreckt.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Angewendete Vorschriften:
§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO;
§ 25, § 53 Abs. 1 StGB.
Gründe
Das Verfahren betrifft die Beteiligung des Angeklagten an sogenannten CumEx-Geschäften in den Jahren 2009 und 2010.
A. Feststellungen
I. Feststellungen zur Person des Angeklagten
Der Angeklagte wurde im Jahr (…) als einziges Kind seiner Eltern in ZH-Stadt geboren.
Im Anschluss an seinen Grundwehrdienst nahm er im Wintersemester 1978/79 ein Studium der Mathematik und Informatik an der Universität in (…) auf, wobei sein Schwerpunkt im Bereich der Reinen Mathematik lag.
Das Studium, das er durch Aushilfstätigkeiten und als studentische Hilfskraft am Mathematischen Institut vollständig selbst finanziert hatte, schloss er im Sommer 1985 mit der Diplomprüfung ab. Im Anschluss wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Fachbereich Mathematik der Universität/Gesamthochschule (…); das damit verbundene Promotionsvorhaben konnte er jedoch aufgrund des krankheitsbedingten Ausfalls seines Betreuers nicht abschließen. Er verließ die Universität und wechselte in die Privatwirtschaft.
Anfang 1991 nahm er eine Stelle als Software-Entwickler bei einem auf die Entwicklung von Software-Lösungen für Wertpapier-Berater spezialisierten Unternehmen in (…) an. Dort kam der Angeklagte zunehmend in Kontakt zu Sparkassen und Banken. Aufgrund seiner Vorkenntnisse übernahm er später u.a. die Leitung eines Projektes zu...