1. Allgemeines
Rn. 69
Stand: EL 151 – ET: 06/2021
Der Begriff des Wohnsitzes ist nicht im EStG, sondern in § 8 AO definiert. Danach hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.
Rn. 70
Stand: EL 151 – ET: 06/2021
Der Wohnsitzbegriff des § 8 AO setzt neben zum dauerhaften Wohnen geeigneten Räumlichkeiten, das Innehaben der Wohnung in dem Sinne voraus, dass der StPfl tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit – wenn auch in größeren Zeitabständen – aufsucht. Ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken reicht nicht aus (BFH v 06.03.1968, I 38/65, BStBl II 1968, 439). Außer dem Innehaben einer Wohnung setzt der Wohnsitzbegriff Umstände voraus, die darauf schließen lassen, dass die Wohnung durch den Inhaber beibehalten und als solche genutzt werden soll. Das Wesen eines Wohnsitzes im steuerrechtlichen Sinne besteht somit darin, dass objektiv die Wohnung ihrem Inhaber jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung steht und von ihm subjektiv zu entsprechender Nutzung auch bestimmt ist (BFH v 26.02.1986, II R 200/82, BFH/NV 1987, 301).
Rn. 71
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Zur Beurteilung, ob ein Wohnsitz iSv § 8 AO vorliegt, sind die tatsächlichen objektiven Verhältnisse und Umstände im jeweiligen VZ maßgeblich (BFH v 14.11.1969, III R 95/68, BStBl II 1970, 153). Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen (§§ 7, 8 BGB), genügt deshalb für den Bereich des Steuerrechts ein natürlicher Wille, den auch ein Geschäftsunfähiger haben kann; auf den Willen des gesetzlichen Vertreters kommt es nicht an (BFH v 22.04.1994, III R 22/92, BStBl II 1994, 887).
Rn. 72
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Der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte hat seinen Wohnsitz grds dort, wo seine Familie ständig wohnt (BFH v 02.11.1994, I B 110/94, BFH/NV 1995, 753). Daran ändert sich nichts, wenn der Ehegatte im Ausland einen weiteren Wohnsitz hat, die inländische Wohnung nur bei sich bietender Gelegenheit nutzt und im Übrigen die Absicht besteht, die Familie ins Ausland nachkommen zu lassen (BFH v 11.04.1984, I R 230/80 mwN).
Diese Vermutung ist jedoch widerlegbar (s BFH v 30.11.2010, VI B 100/10, BFH/NV 2011, 574), denn der gemeinsame Familienwohnsitz setzt voraus, dass die Wohnung für alle Familienangehörigen, auch für den dort nicht dauernd lebenden Angehörigen, zugeschnitten ist.
Andernfalls kann davon ausgegangen werden, dass der StPfl die Wohnung nicht mehr innehat. Das kann zB dann der Fall sein, wenn die Wohnung für den dort nicht dauernd lebenden Familienangehörigen durch räumliche Gegebenheiten und Ausstattungsmerkmale keine Wohnmöglichkeit hergibt, er sie nicht mehr als sein Heim betrachtet und ggf nur besuchsweise in die Wohnung der Familie zurückkehrt (BFH v 29.10.1959, IV 129/58 S, BStBl III 1960, 61; s ferner Drüen in Tipke/Kruse, § 8 AO Rz 7 mwN).
Getrennte Wohnsitze von Ehegatten können auch dadurch entstehen, dass ein Ehegatte im Inland und der andere im Ausland wohnt und Letzterer die inländische Wohnung nicht mitbenutzen kann, wie zB die im Ausland wohnende Ehefrau mit Kindern (BFH v 03.03.1978, VI R 195/75, BStBl II 1978, 372), oder wenn jeder Ehegatte einen eigenen Wohnsitz begründet. Das ist auch dann der Fall, wenn ein Ausländer ein zehnjähriges Aufenthaltsverbot in Deutschland hat, er baldmöglichst nach Deutschland zurückkehren will und seine Ehefrau und die gemeinsame Tochter weiter im Inland wohnen (FG Mchn v 19.12.2003, 1 K 5019/02, EFG 2004, 638).
Die Zweitwohnung eines Ehegatten führt nicht notwendigerweise zum Wohnsitz des anderen Ehegatten (BFH v 02.11.1994, I B 110/94, BFH/NV 1995, 753).
Rn. 73
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Im Hinblick auf § 2 Abs 8 EStG gelten die vorstehenden Ausführungen für Lebenspartner entsprechend.
Rn. 74
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Auch der Erbe muss die geerbte Wohnung objektiv und dauerhaft in Besitz nehmen, wenn er dort seinen Wohnsitz begründen will.
Rn. 75
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Auszubildende, Studenten und erwachsene Kinder können ihren Wohnsitz auch während ihrer auswärtigen Unterbringung wegen Ausbildung oder Beruf in der elterlichen Wohnung haben, wenn die elterliche Wohnung nach wie vor für das Kind bestimmt ist und dieses regelmäßig nicht nur besuchsweise in die Wohnung der Eltern zurückkehrt (BFH v 17.03.1961, VI 185/60 U, BStBl III 1961, 298). Zur Beibehaltung eines inländischen Wohnsitzes, wenn sich das Kind zum Zwecke des Studiums für mehrere Jahre ins Ausland begibt, s BFH v 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 und BFH v 29.09.2014, III R 10/14, BFH/NV 2015, 266.
Ein Kind ausländischer Eltern, das im Heimatland bei Verwandten untergebracht ist und dort die Schule besucht, verliert seinen inländischen Wohnsitz regelmäßig auch...