Rn. 123a
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Die Prüfung, ob trotz nachhaltiger Verluste (nur dann ist eine solche Prüfung in der Praxis überhaupt erforderlich: s BFH vom 16.03.2012, BFH/NV 2012, 950 Rz 17) auf die Gesamtlebensdauer des Betriebes eine Gewinnerzielungsabsicht und damit eine steuerlich relevante gewerbliche Tätigkeit vorliegt, ist (s BVerfG DB 1998, 2247; BFH BStBl II 2002, 276; 1998, 727; 1998, 663) zweistufig wie folgt vorzunehmen:
(1) |
Ist aufgrund der Wesensart des Betriebes und der konkreten betrieblichen Organisation auf Dauer objektiv nachhaltig ein Totalgewinn erzielbar (bei PersGes auf Ebene 1 der Gesellschaft und auf Ebene 2 des Gesellschafters: s Rn 126–126a)? |
(2) |
Wenn (1) zu verneinen ist, also nachhaltig Verluste erwirtschaftet werden: Liegen hierfür persönliche Gründe und Neigungen oder erstrebte wirtschaftliche Vorteile außerhalb der Einkunftssphäre vor? |
Ergänzend ist noch folgende Prüfung durchzuführen:
(3) |
Segmentierung: Liegen eigenständige Tätigkeitsbereiche (Sparten) vor, die getrennt auf Gewinnerzielungsabsicht zu prüfen sind? Nicht vorliegend, wenn Betriebsteile nach einem einheitlichen Gesamtkonzept verbunden sind: s Rn 125a und s BFH vom 02.08.1994, BFH/NV 1995, 866 zu 2.b.bb. der Entscheidungsgründe. |
ba) Prüfungsschritte zu (1): Ist nachhaltig über die Totalperiode von Eröffnung bis Aufgabe, Veräußerung, Liquidation ein "Gewinn" erzielbar bzw liegen noch unschädliche Anlaufverluste vor?
Rn. 123b
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Im Einzelnen:
- Wie definiert sich die Totalperiode, über die der Gewinn anzustreben ist?
- Wie ermittelt sich der relevante "Gewinn"? Was ist einzubeziehen (zB steuerfreie Zuwächse; inflationsbedingte stille Reserven)?
- Wann liegen noch unschädliche Anlaufverluste vor?
- Änderung der Verhältnisse: Wirkt sich wie auf die Beurteilung aus bei zunächst nicht vorliegender und erst später entstehender Gewinnerzielungsabsicht bzw zunächst vorliegender und später verlorener Gewinnerzielungsabsicht? Sind beim Übergang vom Gewerbebetrieb zur Liebhaberei stille Reserven infolge Betriebsaufgabe aufzulösen (Stichwort ruhender Gewerbebetrieb)?
Rn. 124
Stand: EL 169 – ET: 12/2023
Definition der Totalperiode
Der Begriffsbestandteil "Gewinn" ist erstmals in § 15 Abs 2 S 2 EStG gemäß StEntlG 1984 enthalten. Anzustreben (Zukunftsprognose!) ist ein "Totalgewinn" einschließlich stiller Reserven (BFH vom 04.06.2009, BFH/NV 2009, 1644) im Sinne eines Netto-Nutzens (GrS BFH BStBl II 1984, 751; auch s Rn 123 eingangs). Der GrS des BFH knüpft mit diesem Abstellen auf das Ergebnis des Unternehmens in der Zeit von seiner Gründung bis zur Veräußerung/Aufgabe/Liquidation (unter Einschluss eines steuerbaren – ggf auch steuerfreien, z B nach § 16 Abs 4 EStG – Veräußerungs- und Aufgabegewinns: s BFH vom 09.03.2017, BStBl II 2017, 981 Rz 12; BFH vom 25.06.1996, BStBl II 1997, 202; BFH vom 18.06.1996, BFH/NV 1997, 408 zu 3. des Leitsatzes) an Vorstellungen der dynamischen Bilanztheorie an, der allerdings bewusst ist, dass es sich dabei, ausgehend von der regelmäßig unterstellten unbegrenzten Lebensdauer eines Betriebs, um eine Fiktion handelt, die praktischen Bedürfnissen nicht gerecht wird (ua s Seeger, Die Gewinnerzielungsabsicht – ein unmögliches Tatbestandsmerkmal, FS Schmidt, 1993, 42; Westerfelhaus, DStZ 2005, 585, 587).
Es ist bei der Frage nach der Totalgewinnerzielung danach zu unterscheiden, ob die Dauer des Betriebs unbestimmt oder auf einen bestimmten Zeitraum (dann ist dieser maßgebend: s BFH vom 05.03.2007, BFH/NV 2007, 1125 zu 2.a. der Begründung) festgelegt ist.
Bei einem auf unbestimmte Dauer angelegten Gewerbebetrieb handelt es sich beim "Totalgewinn" um eine rein theoretische Größe, die aber, anders als erforderlich, angesichts der einer Marktwirtschaft innewohnenden Konjunkturschwankungen und Strukturveränderungen mittel- bis langfristig ex ante nicht zuverlässig zu ermitteln ist; Westerfelhaus, DStZ 2005, 585 weist darauf hin, dass man sich sonst die immer wieder auftretenden Misserfolge größten Umfanges bei Großkonzernen und die Insolvenzen in der mittelständischen Wirtschaft nicht erklären könnte. Das Kriterium des "Totalgewinns" ist somit nicht praxisgerecht und verstößt gegen das Erfordernis der Bestimmtheit eines steuerrelevanten Sachverhalts.
Bei Immobilien erkennt der BFH (BFH BStBl II 1999, 826) an, dass eine langfristige Kalkulation zu viele spekulative Komponenten enthält, um aus ihr auf eine Gewinnerzielungsabsicht schließen zu können. Bei gewinnerzielenden Betrieben, die erst nach Jahren in die Verlustzone geraten, setzt sich der maßgebliche erzielbare Totalgewinn aus den in der Vergangenheit erzielten und den zukünftig zu erwartenden lfd Gewinnen/Verlusten und dem sich bei Betriebsbeendigung voraussichtlich ergebenden Veräußerungs- bzw Aufgabegewinn/-verlust zusammen: BFH BFH/NV 2011, 1137. Es sind im Verlustfall nicht ausschließlich nur die verbleibenden Jahre vor der Beendigung zu betrachten (glA Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz 30, 39. Aufl).
Der Kauf eines bislang gepachteten WG (Urteilsfall: Grundstück) durch einen Gewerbebetrieb, für den das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht ungewiss ist, führt nicht zur Beseitigung der Ungewissheit, weil darin idR...