Dr. jur. Lukas Karrenbrock
Rn. 6
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Die Rechtfertigung für die Besteuerung nach § 17 EStG folgert das BVerfG aus dem Umstand, dass die "Nähe" einer Beteiligung zur Geschäftsführung der Gesellschaft, ihr möglicher Einfluss auf die Ausschüttungs- und Rücklagenpolitik einschließlich der Entscheidungen über Kapitalerhöhungen – und damit die Möglichkeit, die Voraussetzung für die Entstehung von Veräußerungsgewinnen herbeizuführen – als ausreichender Grund für die Besteuerung der Veräußerungsgewinne anzusehen ist (BVerfG vom 07.10.1969, 2 BvL 3/66, BVerfGE 27, 111, Rz 79). IRd Vorgängervorschrift des § 17 EStG, § 30 Abs 3 EStG 1925 (wesentliche Beteiligung bei einer Beteiligung von mehr als 25 %), wurde iRd Gesetzesbegründung ausgeführt, dass es zahlreiche Gesellschaften gebe, bei denen sich die Anteile in einer Hand oder in wenigen Händen befinden würden. Solche Unternehmen stünden wirtschaftlich Einzelbetrieben, OHG oder KG sehr nahe; die Veräußerung solcher Anteile stehe der Veräußerung von Anteilen an einer OHG oder KG gleich (Wolff-Diepenbrock in FS Klein, 875, 878).
Diese historische Rechtfertigung des § 17 EStG ist nach Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze von 25 % bzw 10 % auf nunmehr 1 % überholt. Vielmehr wird heute – spätestens seit der Einführung der AbgSt – auch die private Vermögensebene umfassend besteuert. Folgerichtig wurde iRd Gesetzesbegründung zum StEntlG 1999/2000/2002 die Herabsetzung der Beteiligungsquote nur noch mit der Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage begründet (vgl BT-Drucks 14/23, 178).
Rn. 7
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Das BVerfG sieht grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken in der Absenkung der Beteiligungsgrenze iSd § 17 EStG idF StEntlG 1999/2000/2002 von 25 % auf 10 % (BVerfG vom 07.07.2010, 2 BvR 748/05, BStBl II 2011, 86): Der Gesetzgeber sei nicht gehindert, Gewinne aus jeder Veräußerung von Gegenständen des PV zu besteuern, so dass die 10 %ige Beteiligungsgrenze verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Dies gilt ebenso für die erneute Absenkung der Beteiligungsgrenze auf nunmehr 1 % (BFH vom 24.10.2012, IX R 36/11, BStBl II 2013, 164; die Verfassungsbeschwerde wurde mit ausführlicher Begründung des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG vom 06.01.2023, 2 BvR 364/13).
Rn. 8
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Nach der Rspr des BFH zur Änderung der Wesentlichkeitsgrenze durch das StEntlG 1999/2000/2002 von 25 % auf 10 % ist das Tatbestandsmerkmal "innerhalb der letzten fünf Jahre wesentlich am Kapital beteiligt" VZ-bezogen auszulegen (BFH vom 11.12.2012, IX R 7/12, BStBl II 2013, 372; BFH vom 16.04.2013, IX R 47/12, BFH/NV 2013, 1915). Für jeden abgeschlossenen VZ sei daher zu prüfen, ob die in den letzten fünf Jahren jeweils geltende Beteiligungsgrenze iSd § 17 EStG (in der jeweils geltenden Fassung) erreicht war. Noch nicht höchstrichterlich entschieden ist, ob die Argumentation des BFH auch auf die weitere Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % durch das StSenkG vom 23.10.2000 übertragbar ist.
Nach Auffassung der FinVerw kann die Rspr des BFH nicht analog auf die Absenkung der Beteiligungsgrenze von 10 % auf 1 % angewendet werden, da § 17 EStG idF StSenkG den Begriff der Wesentlichkeit der Beteiligung nicht mehr enthält (vgl BMF vom 27.05.2013, BStBl I 2013, 721). Das FG Köln und auch das FG Ha haben jedoch zu Recht entschieden, dass es keinen Unterschied machen könne, ob die Reduzierung der Beteiligungsgrenze von 25 % auf 10 % oder von 10 % auf 1 % zu beurteilen ist (FG Köln vom 28.08.2013, 5 K 2072/11, EFG 2013, 2000; FG Ha vom 29.09.2016, 1 K 3/16, EFG 2017, 493). Der BFH hat das anhängige Revisionsverfahren (Aktenzeichen: IX R 19/12) durch Beschluss vom 07.05.2013 bis zur Entscheidung des BVerfG (Aktenzeichen: 2 BvR 364/13) ausgesetzt. Da hier der Beschluss des BVerfG vom 06.01.2023 vorliegt (s Rn 7), wird der BFH nun über die Revision entscheiden und die FG-Rspr bestätigen.
Rn. 9
Stand: EL 167 – ET: 09/2023
Nach Ansicht des BVerfG stellt die zeitliche Anwendung für die steuerliche Erfassung von Wertsteigerungen ab dem 01.01.1999 eine echte Rückwirkung dar, soweit ein im Zeitpunkt vor der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen wird, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert wurde oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Beteiligungsgrenze nicht überschritten war (BVerfG vom 07.07.2010, 2 BvR 748/05, BStBl II 2011, 86). Die rückwirkende Anwendung der abgesenkten Beteiligungsgrenze auf Zeiträume vor dem Verkündungsdatum 31.03.1999 verstößt gegen den Vertrauensschutz. Insoweit ist bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Absenkung der Beteiligungsgrenze nachträglich entwertet werde. Diese führe zudem zu einer Ungleichbehandlung, die unter dem Gesichtspunkt der Lastengleichheit einer erhöhten Rechtfertigung bedürfe. Denn bei denjenigen StPfl, die ihre nach altem Recht unwesentlichen Beteiligun...