a) Grundsatz
Rn. 28
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Der Begriff der selbstständigen Arbeit ist im Gesetz nicht definiert; er bildet den Gegensatz zum Begriff der nichtselbstständigen Arbeit iSv § 19 EStG (BFH BStBl II 1979, 188; BFH/NV 2011, 585), die im Gesetz ebenfalls nicht definiert ist, nach st Rspr jedoch durch § 1 LStDV zutreffend umschrieben wird (BFH BStBl II 1991, 409; 1993, 155).
Für die nichtselbstständige Arbeit ist maßgebend das Bestehen eines Dienstverhältnisses, aufgrund dessen der Beschäftigte seine Arbeitskraft schuldet (§ 1 Abs 2 LStDV). Das ist dann der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des ArbG steht oder im geschäftlichen Organismus des ArbG dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist (vgl BFH BStBl II 1985, 661; 1988, 497; 1991, 409; 1998, 732; 2015, 903). Der Unterschied zwischen selbstständigen und nichtselbstständig Tätigen besteht darin, dass dieser hinsichtlich Art, Ort und Zeit der Tätigkeit weisungsgebunden und damit in den geschäftlichen Organismus des ArbG eingegliedert, jener dagegen lediglich hinsichtlich Art, Ort und Zeit der Erstellung und/oder Ablieferung des Arbeitserfolges, der fertigen Leistung, des fertigen Werks gebunden sein kann. Der Selbstständige unterliegt nicht den Weisungen des Auftraggebers und arbeitet auf eigene Gefahr und Rechnung (BFH BStBl II 1990, 64; 2002, 265).
Die Bezeichnung des Tätigkeitsverhältnisses ist nicht bindend (BFH BStBl II 1988, 804; Kunz/Kunz, DB 1993, 326, 327). Entsprechendes gilt für die Behandlung im Arbeits- und Sozialrecht: Ihr kommt auch entgegen der Formulierung in früheren BFH-Entscheidungen keine "indizielle Bedeutung" zu, derer es angesichts des Erfordernisses einer eigenständigen steuerrechtlichen Würdigung auch nicht bedarf – abgesehen davon, dass ein Indiz etwas anderes ist; s auch BFH BFH/NV 2012, 1968; FG RP EFG 2014, 538. Dieser Grundsatz betrifft auch die "arbeitnehmerähnlichen" Selbstständigen (§ 2 Nr 9 SGB VI, hierzu R 15.1 Abs 3 EStR 2012) und die "scheinselbstständigen" ArbN (§ 7 Abs 4 SGB IV; vgl BFH BStBl II 1999, 534; Strahl, KÖSDI 1999, 11 898, 11 904).
Ein Freiberufler (hier: RA) kann trotz einer "arbeitnehmerähnlichen" Ausgestaltung seines (Beratungs-)Vertrages Selbstständiger sein; er kann aber für eine Entschädigung wegen Auflösung des Vertrages die Vergünstigung der §§ 24 Nr 1 Buchst a, 34 Abs 2 Nr 2 EStG in Anspruch nehmen (BFH BStBl II 2013, 155).
b) Gesamtbildwürdigung
Rn. 29
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Maßgebend ist eine abwägende Beurteilung des Gesamtbilds der Verhältnisse unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (BFH BStBl II 1991, 409; 1993, 303; BFH/NV 2011, 585). Namentlich die Unterscheidung allein danach, ob der StPfl dem Dritten lediglich seine Arbeitskraft oder einen Arbeitserfolg schuldet, führt nicht immer zu einer eindeutigen Unterscheidung.
Für die rechtliche Einordnung maßgeblich ist die vertragliche Vereinbarung ("schuldet", "verpflichtet ist", BFH BStBl II 2009, 374; 2015, 903) unter Heranziehung der tatsächlichen Durchführung/Verhältnisse (BFH BStBl III 1958, 384; BStBl II 1977, 50; Kunz/Kunz, BuW 1995, 188). Der Wille der Vertragsparteien ist nur in Grenzfällen ausschlaggebend (BFH BStBl II 1979, 414; 1993, 155). Der Annahme eines Arbeitsverhältnisses steht entgegen, wenn es dem Auftraggeber nur auf den Erfolg ankommt (BFH BStBl III 1958, 15).
Umgekehrt resultiert bei selbstständigen Dienstleistungen der Erfolg des Arztes, des RA, des Künstlers und Wissenschaftlers, des Ingenieurs, Erziehers und Lehrers, des WP und StB aus ihrer Arbeitsleistung. Insoweit muss daher die Unterscheidung dahin präzisiert werden, worauf sich die Vergütung des Auftraggebers erstreckt, wonach sie sich in erster Linie bemisst.
Entscheidend ist das Innenverhältnis, nicht das Auftreten nach außen (BFH BStBl II 1979, 188); So kann der Chefarzt trotz eines eigenen Liquidationsrechts für wahlärztliche Leistungen Arbeitslohn beziehen; maßgeblich ist das Gesamtbild der Verhältnisse (BFH BStBl II 2006, 94; BFH/NV 2009, 1814; FinVerw DStR 2006, 1041 zum Chefarzthonorar). Ein RA, der mit einer GmbH einen Partnerschaftsvertrag abgeschlossen hat, ist bei auf Nichtselbstständigkeit wie auf Selbstständigkeit hindeutenden Merkmalen selbstständig (FG Mchn EFG 2012, 1550).
Rn. 29a
Stand: EL 156 – ET: 02/2022
Für eine Tätigkeit als nichtselbstständige Arbeit können insb folgende Merkmale sprechen (BFH BStBl II 1985, 661; 1988, 266; 1988, 804; 1991, 409; 1993, 155; 2001, 496 zum nichtselbstständigen Verkaufsberater):
- persönliche Abhängigkeit,
- Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit,
- feste Arbeitszeiten (jedoch nicht unbedingt, RFH RStBl 1939, 1206), Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort,
- feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Überstundenvergütung,
- zeitliche Festlegung des Umfangs der Dienstleistungen,
- Vergütung nach der zeitlichen Dauer der Leistung,
- Unselbstständigkeit des Tätigen...