Rn. 92
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Als Gebrauchskunst (Kunstgewerbe, Kunsthandwerk) wird die Tätigkeit bezeichnet, deren Erzeugnisse nicht nur einen ästhetischen Wert (Wert in sich), sondern einen praktischen Gebrauchswert haben, zB Designer, Gebrauchsgrafiker, Modezeichner, Werbefotograf. Kunst wird in diesem Zusammenhang angenommen, wenn der Kunstwert den Gebrauchswert erheblich übersteigt. Der Künstler muss eine künstlerisch-schöpferische Tätigkeit entfalten und sich nicht nur mit der Herstellung künstlerisch oder geschmackvoll gestalteter Gebrauchsgegenstände befassen (RFH RStBl 1943, 411 zum Gebrauchsgrafiker). Es darf sich nicht nur um das Produkt handwerksmäßig erlernter/erlernbarer Tätigkeit handeln; auf den Gebrauchszweck bzw die spätere Verwendung kommt es dann nicht an (BFH BStBl II 1977, 474; aber s Rn 91c).
Die Erzeugnisse sind jedoch dann nicht Ausdruck einer individuellen Anschauungsweise und Gestaltungskraft, wenn sie zB nur einer neuen Moderichtung oder einem neuen Stilgefühl folgen oder die Formgebung aus dem allg Formenschatz entnommen ist oder auf bekannte Vorbilder zurückgeht: BFH BStBl II 1977, 474; 1991, 20; BFH/NV 1990, 232; BMF DStR 1990, 118 zum Gebrauchsgrafiker; BFH BStBl II 2006, 709; FG Nbg v 25.04.1995, I 66/94, nachgehend BFH BFH/NV 1996, 806 zum Grafik-Designer; FG Bln EFG 1992, 382 rkr zum Hersteller von Sammlerpuppen). Selbst wenn sie zwar eigenartig und technisch vollendet sind und ein gutes oder sogar bestes handwerkliches Können zeigen, fehlt es an einer künstlerischen Tätigkeit, solange die Erzeugnisse die geforderte künstlerische Gestaltungshöhe vermissen lassen (so schon BFH BStBl III 1960, 453; vgl BFH BFH/NV 1990, 232; FG Nbg EFG 1978, 33 zum Perspektivzeichner von Maschinenteilen; FG D'dorf EFG 2007, 197 zum Retuscheur).
Das dürfte auch für einen Webdesigner gelten (nach FG Münster EFG 2008, 1975, jedoch künstlerisch; hierzu Reinke/Pruns, PFB 2010, 33). Schädlich ist es auch, wenn wegen der Vorgaben des Auftraggebers kein oder kaum Spielraum für die künstlerische Gestaltung besteht (s Rn 91b).
Rn. 92a
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Auf der anderen Seite wird dahin abgegrenzt, dass die Leistung ein bestimmtes künstlerisches Niveau nicht erreichen müsse. Ein solches Verständnis wäre mit Art 5 Abs 3 S 1 GG unvereinbar. So hat BFH BStBl II 1969, 70 einen Kunsthandwerker, der von ihm entworfene Beleuchtungskörper in grundsätzlich nicht wieder vorkommenden Einzelstücken herstellte, unter der weiteren Voraussetzung als Künstler anerkannt, dass das Künstlerische gerade in der Art der Ausführung der Idee liege. Dem ist zu folgen, auch wenn bei Beleuchtungskörpern vom Gebrauchszweck nicht abstrahiert werden kann (kritisch Wollny, DStR 1975, 577, 583).
Vorausgesetzt wird nach BFH BStBl II 1969, 70 jedoch, dass es sich bei den Entwürfen jeweils um Einzelstücke handelt (vgl hierzu BFH BStBl II 1969, 138, Modeschöpfer; BFH BStBl II 1977, 474, Werbefotograf).
Weitere Einzelfälle:
- RFH RStBl 1939, 159 zum Innenarchitekten und Möbelzeichner;
- BFH BStBl III 1964, 45 zum Designer von Textilien und Tapeten (im Ergebnis jedoch verneint);
- BFH HFR 1963, 430 zum Gebrauchsgrafiker;
- BFH BStBl II 1995, 776 zum Kartografen;
- FG Bre EFG 1994, 928 rkr zum Graphik-Designer;
- FG Ha EFG 1962, 155 rkr zum Industrie-Designer;
- FG Ha EFG 1993, 386 zu Layoutern; FG Ha EFG 1991, 124 zum Illustrator von medizinischen Fachbüchern;
- FG Mchn EFG 2012, 2282 zum Entwerfen von Schnittmustern;
- FG Köln DStRE 2007, 1312; FG D'dorf EFG 2007, 197 jeweils zu Werbegrafiker/-designer; FG Mchn v 10.07.2014, 15 K 2275/11 zu Typograph, Grafiker.
Rn. 92b
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Bei der Beurteilung kann es auf die endgültige Verwendung des Geschaffenen zu gewerblichen Zwecken, insb zu Werbezwecken nicht ankommen (RFH RStBl 1939, 159; BFH BStBl III 1958, 182; 1958, 316; BStBl II 1977, 474; 1991, 889; BFH/NV 2008, 1472). Die Herstellung der Gebrauchsgegenstände ist etwas anderes als die Anfertigung von künstlerischen Entwürfen für solche Gebrauchsgegenstände. Bei anderer Auffassung würde ein künstlerisch Schaffender nicht mehr als Künstler angesprochen werden können, wenn sein Erzeugnis auf dem gewerblichen Sektor der Wirtschaft Verwendung findet.